Die Titanic und Herr Berg
hört zu, versteht alles, kennt alles und ihre Katze ist trächtig und die Kleinen werden per Kaiserschnitt geholt. Gesine kann über das reden, worüber sie reden will und ich nicht. Ich könnte fragen, wer in diesem Wartezimmer über Liebe sprechen möchte, denn ich möchte darüber sprechen, Liebe.
Dann wird Mulle aufgerufen und die Frau mit der schwangeren Katze lächelt uns stärkend hinterher. Wie ein Geheimbund der Tierbesitzer. Im Behandlungsraum riecht es nach Zahnarzt, Frauenarzt, frisch geputztes Klo. Dann holt die Ärztin Frau Dr. Bevern Mulle aus dem Korb und es riecht nach Kompost, ja. Die Ärztin ist nett. Sie sieht aus wie Gesine, dunkelblond mit Zopf und slawischem Gesicht. Wie sie nebeneinander stehen, Gesine und die Ärztin über den roten kranken Berg auf dem glatten Metalltisch gebeugt, sehen sie aus wie Schwestern und ich kann sehen, welche die ältere Schwester ist. Dann kommt die Frau von vorhin rein und die Ärztin weist sie an, alles fürs Röntgen vorzubereiten. Gesine hält die Katze, die Ärztin tastet den Bauch des Tieres ab, die Schwester bereitet alles fürs Röntgen vor, Mulle jammert und ich stehe Gesine bei. Ich stehe bei Gesine. Das fühlt Peter also immer. Er steht daneben. Ich freue mich darauf, ihm vom Tierarztbesuch zu erzählen. Ich erzähle es witzig und dann traurig, weil Mulle eingeschläfert wurde. Ich erschrecke nicht mal vor dem Gedanken, ist so.
Gesine zieht sich eine Schutzschürze an und hält Mulle im Arm vor das Röntgengerät. Die Schutzschürze ist hellgrün und schützt Gesines Gebärmutter. Ich stehe daneben. Mulle hält still. Sie hat sich schon immer herumtragen lassen, wie ein Plüschtier. Gesines Pullover sind immer voller roter Haare, waren bis jetzt immer voller roter Haare, es sei denn, sie schafft sich wieder eine rote Katze an.
Im Wartezimmer stürzt sich die Katzenbesitzerin auf Gesine und fragt alles, was mir nicht eingefallen wäre, aber ich war ja auch dabei. Wir werden wieder aufgerufen. Die Menschen werden beim Tierarzt mit dem Namen ihres Tieres aufgerufen, Rex.
Die Ärztin klemmt die nassen Röntgenaufnahmen an die beleuchtete Wand und zeigt mit einem Kuli, wo Mulle überall Wasser hat. Im Bauch und in der Lunge. Die Krankheit heißt Fip, ein netter Hundename, auch Katzenaids genannt, kein netter Hundename, Rex. Auf den Bildern kann ich sehen, wie die Katze in Gesines Armen hängt, aber Gesine in der Schürze kann ich nicht sehen. Dann teilt die Ärztin Ohrfeigen aus, nur noch ein paar Tage, Quälerei, einschläfern und links und rechts. Gesine steht geprügelt und fällt und fällt. Ich berühre sie am Arm, sie berührt den Weidenkorb. Natürlich stimmt sie der Einschläferung zu, natürlich, wenn Mulle sich quält und wenn Gesine sie befreien kann, natürlich. Das sagt die Ärztin, «befreien».
Dann redet Frau Dr. Bevern von Geld, viel Geld, von einer Tierverbrennungsanlage. Gesine fragt, wo eine Bank ist und zieht ihren Mantel an. Ich hätte auf meinem Konto gar nicht so viel Geld, um jemanden einschläfern zu lassen, den ich liebe. Gesine sagt mir, ich solle auf Mulle aufpassen. Ich finde es fürchterlich, dass Gesine alleine losgeht, draußen ist es dunkel und sie sollte bei Mulle bleiben, Gesine will mir ihre Geheimnummer nicht verraten, 4482, ich kann mir Nummern gut merken. Die paar Minuten soll ich im Behandlungsraum bleiben, sagt die Ärztin und der Schwester sagt sie, dass sie schon mal alles für den Kaiserschnitt vorbereiten kann. Dann setzt sie sich ans Fenster und trinkt Tee. Sie nimmt den Löffel nicht aus der Glastasse und jedes Mal, wenn sie trinkt, klimpert es. Ich sitze auf dem Stuhl neben dem Behandlungstisch und habe den Weidenkorb auf den Beinen. Ich öffne die Tür des Korbes und Mulle steht sofort auf und kommt aus dem Korb, langsam. Ich stelle den Korb auf den Boden und Mulle legt sich in meinen Schoß. Sie rollt sich nicht ein, sie liegt nur. Sie ist schwer, aber das ist alles nur Wasser, Liter. Mulle atmet laut und noch dazu schnurrt sie, als hätte das Schnurren nichts mit ihrem Atmen zu tun. Es kommt tief aus ihrem Bauch. Gesine hat mir mal erklärt, dass Katzen auch schnurren, wenn sie Schmerzen haben, um sich zu trösten. Ich lege meine Hand auf Mulles Rücken. Ihr Rückgrat steht aus dem Fell heraus, viel knochiger, als sie aussieht. Ich dachte immer, Mulle ist fett, aber sie ist ganz dünn, nur Wasser. Wir sitzen gar nicht lange, ich, Mulle und die Ärztin mit dem Tee, alles nur Wasser. Mulle ist warm,
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