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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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schlafen.
    «Viel!», sagt der Mann. Er weicht kein Stück zurück. Wenn ich einschlafe, falle ich in seinen Mund. Er hält das Handy in der Hand und ich meinen Rucksack, da sind Fotos von Peters Jacke in meinem Flur drin.
    «Wenn Sie sofort anrufen von dort …»
    Müdigkeit tut weh. Ich habe zwar im Zug geschlafen, aber im Zug schlafe ich nur, um noch müder zu werden, ja.
    «Wir gehen jetzt das Hotel ansehen.» Der Mann legt das fest, und ich nicke innerlich, aber bin zu schwach zu nicken. Ich weiß gar nicht, wie ich mir das vorstellen soll, dass wir zu dritt durch die dunkle Stadt laufen.
    «Wir laufen zehn Minuten», sagt der Mann. Er zeigt mir auf meinem Stadtplan, wie wir laufen. Ich weiß nicht, warum er meinen Stadtplan hat. Wenn ich nicht aufpasse, hat er bald alles, was mir gehört. Ich muss aufpassen, auf-pas-sen. Die Strecke zum Hotel «Eva» sieht länger aus als zehn Minuten, zwei Zentimeter.
    «Wenn Sie gehen, wir stehen hier und Sie rufen an, wenn Sie nicht gehen, rufen Sie dort an und wir gehen.»
    Das verstehe ich nicht, aber da mir weiter das Handy hingehalten wird, nehme ich es und rufe Holger an. Holger ist verschlafen, aber freut sich, dass ich wie abgemacht anrufe, denn manchmal mache ich nicht das, was wir abgemacht haben. «Ich komme nicht vorbei», sage ich zu Holger, der ist verwirrt und gähnt.
    «Wie vorbeikommen? Bist du in Prag?»
    «Ja!» Ich könnte ihm so viel erzählen, aber der alte Mann versteht Deutsch. Und ich gehe jetzt mit in das Hotel und mache die Augen zu, beide. Die Alten schauen mich an, beide, als hätte ich ihnen ein Geschenk versprochen. Sie halten ihre Hände vor ihre Geschlechtsteile, als ob sie ihren Körper nur geliehen haben und ihn morgen dem Sektenführer zurückgeben müssen, gewaschen.
    «Hast du eine Unterkunft?», fragt Holger.
    «Ja», sage ich.
    «Ist sie schön?»
    «Ja!», und dann noch, «Tschüs!», und ich lege auf. Damit der alte Mann nicht sehen kann, dass ich eine deutsche Nummer gewählt habe, tippe ich noch irgendeine Nummer ein.
    «Nochmal?», fragt er. Kinder fragen das oft, wenn man mit ihnen Unsinn macht. Man wirbelt sie in der Luft herum, bis einem die Arme abfallen. Nochmal? Bis einem die Arme abfallen. Nochmal? Bis einem die Augen zufallen.
    «Nein!», sage ich und lege auf, ohne je zu erfahren, wo ich angerufen habe.

    Dann kommt ein junger Mann dazu. Er trägt einen Rucksack, der nur ein wenig kleiner als ich ist. Sie reden tschechisch. Ich will mich wegschleichen, aber alle drei zeigen ständig auf mich. Werde ich gerade verheiratet? Endlich. Der junge Mann zuckt die Schulter und gibt mir die Hand. Endlich verheiratet.
    «Milan.»
    «Tanja», sage ich.
    «Er will das Zimmer, aber sie sind davor.» Der alte Mann hebt die Schultern, seine Frau macht es ihm nach. Sie sieht aus wie alle, die ich im Entzug kennen gelernt habe. Ihr Körper hat nicht viel mit ihrem Gehirn zu tun, er ist zu langsam und kommt einfach mit, weil er noch weiß, wie Laufen geht, Schritt für Schritt. Sie braucht außerdem nur ihrem Mann alles nachmachen, der kann das besser.
    Wir laufen in Richtung Tiefgarage. Milan hat gesagt: «Come on, Tanja!» Er lächelt nett. Er ist klein und stark. Er hat viele Knödel gegessen. Wir gehen nicht aus dem Bahnhof, wir gehen zu einem grünen Auto und Milan schließt auf. Das ist Milans Auto. Die beiden Alten krabbeln hinten rein und klappen den Sitz zurück. Wieder sagt Milan: «Come on, Tanja!». Ich setze mich ins Auto. Wenn sie mich verschleppen, gehe ich hinter der deutschen Grenze in Dubi anschaffen, aber Milan sieht lieb aus, er zeigt mir, dass ich mich anschnallen soll, weiß ich doch. Jedes Mal, wenn er meinen Namen sagt, fühle ich mich ein Stück wohler, noch ein paar Mal und ich fühle mich richtig wohl. Obwohl ich woanders bin und jemand anderes meinen Namen sagt, ist das trotzdem noch mein Name. Ich schlafe ein.

    Ich wache auf, weil die Autotür zugeknallt wird. Weil ich angeschnallt bin, habe ich keine Angst, mir kann nichts passieren, nichts. Milan steht mit den Alten draußen und sie reden, zeigen auf das Haus, auf mich, auf sich selbst, auf die Uhr, überallhin. Dann gehen sie in das Haus. Ich erkenne das Haus wieder. Die schöne Eingangstür ist auf dem Handzettel abgebildet. Aber es ist kein Hotel, nirgendwo steht «Hotel Eva». Es ist ein Wohnhaus. Milan lässt mich allein in seinem Auto und darum werde ich auch weiterhin mitgehen, wenn er sagt: «Come on, Tanja.» Wahrscheinlich lässt er mich allein in

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