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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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Unglück. Ich kann nicht zu viel Freundlichkeit von ihr erwarten, nein. Sie knallt mir einen Ordner hin, in dem Massen von Hotels sind, alle sind hübsch fotografiert. Ich sage ihr, dass ich billig möchte und sie gibt mir zwei Handzettel von Jugendherbergen. Da lächel ich die Frau an, da ist die Frau überfordert und schaut lieber weg. In Jugendherbergen sind andere Menschen, denen kann ich erzählen, wer ich bin oder auch nicht. Ich bedanke mich und gehe. Ich fühle mich besser. Ich habe mit den Kronen weniger Angst überfallen zu werden, als mit den Euros, außerdem kann ich Holger was sagen, Jugendherberge.
    Ich halte meinen Rucksack fest, und es ist nicht abzuwenden, gerade ging es gut, da kommt die alte Frau auf mich zu. Ich schaue zu Boden, ich will nicht, aber es ist nicht abzuwenden. Sie kommt zu mir, und ich will ihr kein Geld geben. Ich habe nur große Scheine, das sind meine Scheine. Das ist eine Frau, die erst freundlich fragt und den Kopf schief hält, aber dann wird sie an meinen Haaren ziehen, sie spuckt, sie schreit, kann sein. Die Frau, fragt: «Hotel?» Und ich will den Kopf schütteln und mich wegbringen, aber es ist, wie es nach dem Krieg war, ich hatte Hunger und der Russe fragte mich: «Hunger?» und obwohl ich wusste, dass das Brot in seiner Hose ist, nickte ich. Ja, Hunger! Ja, Hotel!
    Die alte Frau zeigt mir einen weiteren Handzettel, und ich zeige ihr, dass ich auch etwas zu zeigen habe. Ich habe schon zwei, aber sie nimmt mir die Zettel aus der Hand und tippt auf die Zahlen, die Preise. Auf ihrem sieht es weniger aus. Ich versuche flach zu atmen, weil die Frau nach Reinigungsmitteln riecht. Ich nehme den Handzettel, jetzt habe ich drei, dann gehe ich zum Ausgang. Es ist kein Ausgang zur Straße, sondern zur Tiefgarage. Die Zuspitzung meiner Lage, Kätzchen, ist schlimm. Das sind keine guten Wörter im Zusammenhang: Bahnhof, Tiefgarage, Nacht. Ich habe das hinter mir, dachte ich und jetzt habe ich es wieder vor mir. Wieder ist es nicht abzuwenden, eine weitere Gestalt kommt auf mich zu, nett im Bitten, aber böse, wenn ich sein Leben nicht erhalten will und das will ich nicht. Er trägt ein kariertes Jackett. Vom Bahnhof in die Tiefgarage. Von einer alten Frau zu einem alten Mann. Er sieht aus als wäre er mal ein netter Onkel aus einem Kinderfilm gewesen, aber dann waren die Zähne weg und die Arbeit weg und die Frau weg. Nein, die Frau ist nicht weg, da ist sie, das ist seine.
    «Meine Frau hat Ihnen einen Zettel gegeben, aber sie spricht kein Deutsch», sagt er. Sie steht neben ihm, eine gelbe Bluse an und einen Faltenrock. Das ist seine Frau, sie teilen sich einen Geruch und ein Bett. Sie teilen sich den Job und sie wollen mich in dieses Hotel bringen, tot oder lebendig. Der Mann rechnet mir abermals vor, wie billig das Hotel ist. Das Hotel heißt «Eva» und ist in der Nähe vom Wenzelsplatz. Er selbst kommt mir auch immer näher, ich kann riechen, wie seine Zähne aussehen. Gleich wird mir schlecht, weil mich das an viel erinnert. Der Mann nimmt mir meine Jugendherbergszettel aus der Hand und redet auf mich ein, rechnet und fragt, wie lange ich bleiben will, Rabatt.
    «Sie können bleiben, so viele Sie wollen.»
    Ich sage, dass ich erst woandershin müsse. Die Frau wippt auf ihren flachen Schuhen auf und ab, die Hände hat sie vor ihrem Schoß verschränkt. Kleine Frauen haben nie schöne Figuren, nein, manchmal schon, aber sie hat ihre Schultern über ihre Brust gezogen, ja.
    «Wo müssen Sie denn noch hin?»
    Ich kann sehr schnell lügen. Ich rede von einem anderen Hotel.
    «Was für ein Hotel?»
    Er tritt mir nahe.
    «Ich bin dort angemeldet.»
    «Können Sie da anrufen.» Sein Satz ist wie eine Frage gebaut, aber er meint es als Angebot und hält mir ein Handy hin. Seine Frau zeigt auf das Handy und freut sich. Sie ist stolz auf ihren Mann, der ein Handy hat und Deutsch kann. Das sind auch gute Gründe auf jemanden stolz zu sein.
    «Wir können kurz zum Hotel gehen, sie sehen, sie sagen ja, sie sagen nein. Zimmer für vier Personen, aber wenn sie das Zimmer haben, dann allein.»
    Ich bin müde. Ich bin sehr müde.
    «Ist es denn weit?», frage ich.
    «Nei!», sagt die Frau. Das hat sie verstanden. Wieder sieht sie stolz aus. Ihr Faltenrock glockt ihr um die Beine, ohne einen Ton zu machen.
    «Wenn sie woandershin müssen, ist das Zimmer weg. Wie lange benötigen Sie weg?»
    Ich verscheuche die Fragen wie Fliegen. «Zwei Stunden», sage ich. Erschlagt mich doch, ich will doch

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