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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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wäre mitgekommen, egal wie müde. Er hätte kaum etwas gegessen, aber Kaffee getrunken. Mario hätte viel gegessen. Frank hätte mir alles vom Büfett geholt und Peter hätte sich über den Essensraum lustig gemacht. Es ist nicht Retro, es ist echt. Es sieht aus, als hätte das Hotel auch gute Zeiten, im Sommer. Es ist sehr viel Platz für Frühstücksgäste. Die Stühle sind alle dunkelbraun und wahrscheinlich kommen sie alle aus derselben Fabrik, wie Geschwister, und die Touristen sitzen schon drauf, dann stehen sie auf und laufen weg. Darum bin ich alleine. Ich lege den Zimmerschlüssel auf die hautfarbene Tischdecke, und dann gehe ich zwischen zwei schieferverkleideten Säulen durch zum Büfett. Drei Sorten Wurst, alle in derselben matten Farbe. Drei Sorten Käse, die aufgefächert da liegen. Marmelade von jeder Frucht in 20-Gramm-Packungen, Butter in 10-Gramm-Packungen und Eier in drei Körbchen ohne Minutenangabe. Als Brötchen gibt es Hörnchen, ich nehme Kuchen. Dann noch Kaffee und Saft. Ich denke an Milan.
    Ich kaue und höre Radio. Erst eine aufgemixte Fassung von «Let the sun shine», dann wird lange tschechisch gesprochen, nicht über mich. Ich freue mich, weil alle Kunstblumen auf den Tischen rosa sind, außer die auf meinem, die ist gelb. Ich sitze an einem besonderen Tisch, an diesem besonderen Morgen. Auf den Blättern der Rosen sind Tautropfen aus Lack. Der Kaffee ist kein Kaffee, es ist Muckefuck. Ich beschließe, dass Milan aussieht, als ob er gerne Wurst isst und darum werde ich ihm ein Hörnchen mit Wurst machen, aber dann kommen zwei junge Männer in den Essensraum. Sie bleiben lange in der Tür stehen und können sich schwer entscheiden, wo sie sich hinsetzen wollen. Es gibt immer Menschen, die mit eingeschränkten Möglichkeiten besser zurechtkommen. Sie setzen sich in meine Nähe und reden Deutsch. Sie reden darüber, dass das Sammelticket für das jüdische Museum teuer ist und sie eigentlich nur den jüdischen Friedhof sehen wollen. Ich weiß, was die zwei jungen Männer heute machen werden, aber nicht was ich machen werde. Ich esse still und darum weiß ich mehr über die beiden Männer als sie über mich. Sie wissen nicht, dass ich Milan ein Hörnchen mit Wurst schmieren wollte und mich jetzt nicht traue. Es kommt noch ein Pärchen in den Essensraum. Sie setzen sich weit nach hinten in eine Ecke und haben den längsten Weg zum Büfett. Dann kommt Milan mit der leeren Wasserflasche. Er klappert mit den Fingern der einen Hand auf der Plasteflasche in seiner anderen Hand. Er füllt sich Saft ab, frech. Niemand interessiert sich dafür, nur ich. Ich lächle, als er mit der vollen Flasche zur Tür geht und mich zu sich winkt, frech. Wir gehen zusammen auf unser Zimmer. Milan zeigt mir, dass die Stromleitungen in Hüfthöhe unverdeckt an der Wand entlang laufen und dass hinter den Mucha-Bildern nicht gestrichen ist. Warum schaut er hinter Bilder? Er scheint irgendwie Handwerker zu sein, ja. Er findet das alles lustig, sehr.
    Im Zimmer packe ich meine Umhängetasche. In die Umhängetasche passt ein Fotoapparat, mein Geld, der Stadtplan und Milans Saftflasche. Meine Jacke binde ich an den Trageriemen und dann gehen wir los. Wir reden nicht darüber, wo es hin geht, los. Milan läuft an seinem Auto vorbei. Ich laufe hinter ihm her und das mache ich, bis wir an der Straßenbahnhaltestelle sind und uns auf das Geländer setzen. Dort warten wir, warten, während das Wetter wundervoll ist, lauwarm. In der roten Straßenbahn, Linie 17, kauft Milan Fahrkarten. Er versteht den Fahrkartenautomaten, ich nicht. Wir verstehen uns gut. Ich halte ihm den Platz neben mir frei. Ich bin glücklich, obwohl Peter weit weg ist, weil gleichzeitig Katrin weit weg ist. Milan dreht mit dem Fingernagel eine Schraube aus dem Sitz vor sich und schenkt mir die Schraube, die ist nicht nur locker, die ist raus. Ich würde Milan ja küssen, aber er hält nie still. Er schaut in alle Richtungen, beugt sich vor, zeigt mir etwas, sagt: «Öh!» und ich weiß nicht warum. Im Verlauf der Straßenbahnfahrt finde ich Gefallen daran, ihm auch etwas zu zeigen und «Ui!» zu sagen. Ich wüsste selber nicht, was an dem Straßenschild «Ui!» ist, eine durchgestrichene Hupe ist drauf, aber Milan lacht. Die Straßenschilder sind niedlich. Auf einem ist ein kleines Mädchen mit Zöpfen und ein großer Junge scheucht das Mädchen vor sich her. Ihre schwarzen Schatten sehen froh aus und haben Ranzen auf dem Rücken. Auch der Bauarbeiter

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