Die Titanic und Herr Berg
oben schauen Nägel und Bindfadenstücke heraus. Er lacht. Er zeigt mir, dass der Teppich ein Stück die Wand hoch liegt und hinter dem Heizungsrohr ein Flicken eingesetzt ist, den er herausnehmen kann. Er nimmt ihn heraus, nur um ihn angeekelt hochzuhalten. Er macht: «Hm!» und legt den Flicken verkehrt herum wieder rein. Ich bin gar nicht mehr müde. Wir könnten doch Sex haben, jetzt. Seine Boxershorts haben Punkte und er ist lustig, Milan. Er kommt zu mir. Ich habe nichts dagegen, nur was dafür. Er dreht die Nachttischlampe zu mir, knipst sie an und blendet mich. Ich blinzel.
«Your name!», sagt er in strengem Ton. Er spricht schlecht Englisch, wie ich, keine Sätze, nur Wörter.
«Tanja», sage ich. Er blendet mich weiter, ich kann ihn kaum sehen, wie er dasteht und mit der Hand in der Luft rührt. Weiter?
«Jannsen», gestehe ich.
«Tanja Jannsen», wiederholt er. Ich bekomme das Gefühl, dass er sich nicht traut, sich zu mir zu legen, muss er aber früher oder später, muss er. Er hat das Zimmer für beide gebucht, ich liege hier nur. Er spaziert weiter vor dem Bett hin und her, findet eine Plastefliege auf dem Boden, groß wie eine Hummel, macht: «Sssssss» und wirft sie in den Flur. Dann geht er der Fliege hinterher und lacht. Ich gehe zu ihm und er zeigt mir die Tür, eine Tür. Ich finde die Tür nicht lustig. Ich zucke die Achseln, und er bewegt seine Hand längs und quer. Kann sein ich werde doch müde. Er zeigt immer wieder quer. Das Holz ist quer. Das verstehe ich und verstehe es nicht, kein Stück. Ich schaue ihn mir an, wie er mit geschlossenem Mund lacht, ganz breit gezogen. Seine Nase ist klein, seine Augen schmal, schön. Er weist mich auf die Schranktür im Flur hin. Da ist das Holz längs, gut. Ich gehe meine Waschtasche holen und er steht immer noch im Flur und macht die Schubladen im Wandschrank auf und zu.
Im Bad mache ich mich untenrum sauber, damit es wieder schmutzig werden kann. Als ich wieder ins Zimmer gehe, ist das Licht aus und Milan liegt im Bett, allein. Als meine Augen sich auf die Dunkelheit eingestellt haben, sehe ich, dass er die Bettdecke ganz hochgezogen hat und die Augen sind zu, beide. Meine sind auch gleich zu. Ich ziehe mich nackt aus, mit dem Rücken zu ihm, damit er meine Brust nicht sieht. Dann lege ich mich auf die Seite ihm zugewandt und denke: «Gute Nacht Peter!»
Kaum ist es wieder hell – «Guten Morgen Peter!» – steht Milan auf und zieht die Vorhänge zu. Dann schläft er wieder ein. Ich auch, bis ein Wecker piept, der Milan gehören muss und den Milan gestellt hat, auf neun Uhr. Milan macht den Wecker aus und schaut mich an. Wir müssen nicht reden. Wir sehen, dass der andere gut geschlafen hat. Ich lächel ein bisschen, nicht zu viel, heute Morgen will ich keinen Sex, weil ich die Stadt sehen will. Milan führt seine rechte Hand zum Mund und fragt: «Break fast?» Er sagt es wie zwei Wörter, bräjk und fast. Ich nicke eifrig und ziehe mich an. Milan sieht nicht hin. Wenn er noch nicht weiß, dass er es haben kann, will er keinen Appetit darauf haben. Ich habe Appetit auf Kaffee. Milan fängt nicht an sich anzuziehen. Ich frage ihn auch: «Break fast?» Er winkt und rollt sich ein. Wenn ich gewusst hätte, dass er liegen bleibt, wäre ich auch liegen geblieben.
Als ich vor der lustigen Tür stehe, ruft mich Milan. Ich gehe zurück zum Bett und nehme eine leere Wasserflasche aus seiner Hand. Er steckt seinen Finger oben in die Flaschenöffnung und schraubt dann wieder zu. Ich verstehe was er will, will aber was anderes verstehen und könnte mich ausziehen und ihn auch und dann steckt er seinen Finger in die Öffnung. Wie sollen wir uns kennen lernen, wenn wir keine gemeinsame Sprache haben? Einfach anfassen wäre eine Möglichkeit sich hektisch anzufreunden. Aber ich nehme die Flasche, gehe ins Bad und fülle Wasser rein, bis er mich ruft.
«Juice», sagt er und ich gebe ihm die Flasche. Es könnte ja sein, «Juice» heißt «Danke». Ich pruste vor der Tür los. Soll er sich doch alleine Saft vom Büfett holen. Ich mache das nicht und über der Tür zum Essenraum steht: «Breakfast, Snidane, Frühstück, Please irgendwas, tschechisch irgendwas und bitte nehmen sie keine Speisen und Getränke mit von sich.» Natürlich habe ich das mal gemacht, früher. Alleine verreist war ich aber noch nie, nie, und Milan kannte ich gestern auch noch nicht, nein. Jetzt weiß ich, dass er große Ohrläppchen hat und mich alleine frühstücken schickt. Holger
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