Die Titanic und Herr Berg
auf dem Schild ist nett anzusehen. Er hat eine Schiebermütze und ein schönes Kinn. Er schippt einen schwarzen Haufen. In Deutschland hat der Bauarbeiter auf den Schildern auch eine Schippe und einen Haufen, aber ohne Hände, ohne Hals und ohne Hut.
Wir steigen kurz vor der Karlsbrücke aus und bummeln dann im Zickzack drüber. Früher waren hier mehr Händler. Milan zeigt mir dies und das und sagt die tschechischen Bezeichnungen für Karlsbrücke und Oper. Er war auch schon mal hier. Ich war fast ein halbes Jahr mit Patrick hier, da war ich schwanger. Alles war billig, und Patrick sagte ständig, wie teuer alles geworden sei, und bezahlte mir, was ich wollte, weil er nicht wusste, dass ich schwanger war und ich wollte Sachen, die nicht gut waren. Lange her und das Kind ist gesund und ich auch. Mehr gibt’s nicht zu sagen, Katrin.
Ich henkel mich bei Milan ein. Am Ende der Brücke hockt eine schmutzige Gestalt auf den Knien. Er hat die Stirn auf seine Unterarme gelegt und betet in die Gegend. Vor seinen Händen liegt, damit es jeder versteht, ich verstehe es sofort, ein Pappbecher. Er bettelt. Ich sehe das zum ersten Mal, Milan anscheinend nicht. Er geht vorbei, ich nicht, unsere Arme lösen sich. Es ist edel und schlimm, ich will das sehen. Ich finde es nicht erniedrigend, es ist ergeben, und er muss niemandem ins Gesicht sehen. Seine Eltern könnten vorbeikommen und würden ihn nur an den alten Turnschuhen erkennen. Er muss nicht Bitte und Danke sagen, das macht seine Körperhaltung, Bitte, Danke. Es ist wie bei diesen Straßenkünstlern, die stillstehen. Er kniet still, kniet sich den Rücken kaputt. Ich fühle mich, als ob ich so vor Peter knie. Bitte, Danke.
Milan will zum Hradschin rauf, ich auch. Ich will in jeden Laden und nichts kaufen. Milan will in gar keine Läden, und wenn er dann drin ist, kauft er was, das Kleinste, was er finden kann: Schlüsselanhänger, Schokoladenriegel, Streichholzschachteln, auf denen ein gemalter Kafka durch eine Straße läuft. Ich stecke die Gegenstände ein. Wir passen gut zueinander. Einen Milan hatte ich noch nicht. Es ist angenehm sonnig und Amerikaner können ihre Basecaps tragen, und Deutsche können sich Basecaps kaufen und sie dann tragen, da steht «Pivo» oder «Praha» drauf. Milan zeigt auf kaputte Autos, sagt: «Öh!», geht weiter. Ich folge ihm. Das ist schön. Da weiß ich, was ich mache, ich folge ihm. Die Straßenbahn fährt an uns vorbei, rumpelt und kreischt. Wir gehen hinter ihr über die Straße, als die Ampel wie wild zu klicken beginnt. Sie klickt immer, wie ein Herz, aber wenn für die Fußgänger grün ist, klickt sie wie frisch verliebt, renn, renn, renn. Die Grünphasen sind wirklich sehr kurz, besser zu rennen. Nach dem die Liebe frisch war, geht die Zeit dann wieder normal, bis eine neue Liebe kommt.
Milan und ich gehen die Treppe an der Metrostation Malostranské hoch. Vor uns läuft ein Soldat in Uniform, und an seinem Arm führt er seine Freundin mit Pferdeschwanz. Bringt sie ihn heute zum Zug und er fährt weg oder hat sie ihn heute abgeholt und er hat eine Woche Urlaub? Ist das ein schöner oder ein trauriger Anblick? Und wie sehen ich und Milan aus? Milan fühlt sich wohl, weil überall etwas «Öh!» oder «Pfff!» ist, vom Frost gesprengte Steine, schiefe Regenrinnen. Oben schauen wir auf die Stadt, die sonnig daliegt und Lärm macht. Die Straßenbahn ist bis hier oben zu hören. Wir gehen dort über den Platz, wo der Präsident wohnt, der gerade da ist, weil die Fahne geflaggt ist, wir sind auch da. Wir gehen um die Kirche herum und dann rein. Oft wissen Touristen nicht, dass sie die Füße nicht auf die Knieablagen stellen dürfen, dann machen sie es einfach und schauen andächtig die Glasfenster an, flüstern. Es ist schön, dass Milan nicht viel redet. Die Fenster findet er «Höy!». Holger plappert immer viel, wenn wir etwas besichtigen. Holger weiß viel und will, dass ich auch viel weiß, darum weiß ich nur, was Holger weiß. Über Milan weiß ich jedenfalls, dass er alles, was kaputt ist, großartig findet. Er findet mich großartig.
Es ist das letzte Frühstück in Prag, zumindest für dieses Mal, denn ich muss heute zurück nach Berlin, nicht nur weil mich die Sehnsucht nach Peter umbringt und Milan mich nicht befriedigt und ich kein Geld mehr habe, nein. Ich muss vor allem nach Berlin, weil ich morgen einen Termin beim sozialpädagogischen Dienst habe, mal wieder und am Ende gehe ich tatsächlich hin. Aber Katrin ist
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