Die Titanic und Herr Berg
V-Ausschnitt und zwei blauen Strichen über der Brust. Er beendet bestimmt sein Studium. Milan muss auch ins Bad. Im Vorbeigehen berührt er meinen Hintern und sagt etwas, bestimmt etwas Freundliches. Man kann viel Freundliches über meinen Hintern sagen. Ich finde meinen Hintern nicht zu wichtig. Es ist die Stelle, an der meine Beine hinten aufhören, aber sie hören schön auf. Vorne hören meine Beine auch schön auf. Während Milan im Bad ist und mit der Lüftung summt, packe ich meinen Kram. Weil ich noch Platz im Rucksack habe, packe ich das Bild mit der Landschaft mit dem flachen Berg und dem trägen Fluss ein. Milan fällt nicht auf, dass das Bild fehlt, aber ihm fällt auf, dass ich meine Sachen gepackt habe. Er fragt etwas. Ich sage: «Ja!», daraufhin packt er auch seine Sachen. Ich sitze auf dem Klappstuhl neben der Tür zum Flur und sehe ihm zu.
Er sagt: «Ah!» Er hebt den Zeigefinger, schnipst mit Daumen und Mittelfinger und kramt etwas aus seiner Geldbörse. Es ist ein Foto von ihm. Er hat längere Haare darauf, bis über die Ohren, obwohl er schöne Ohren hat. Ich kenne überhaupt wenige Männer mit unschönen Ohren, Männerohren sind was Schönes. Ich halte Milan das Foto hin, aber er will es nicht wieder haben, nein, er will es mir schenken, ja. Ich denke darüber nach, wie Peter als junger Mann seine Haare hatte und denke, er hatte sie wie Milan. Das macht mich an. Ich will immer mit Peter schlafen, in jedem Alter, in Zukunft sowieso, aber in der Vergangenheit auch. Also presse ich mich an Milan und bedanke mich für das Foto. Ich ziehe uns aus, ihn und mich. Das mache ich gerne, das macht ihn hilflos und sein Gesicht wird warm. Er legt sich komplett auf mir ab und wir bewegen uns. Er umfasst meinen Oberkörper und ich den seinen, wie ein Liebespaar. Natürlich komme ich nicht, aber wir reden danach darüber. Er fragt. Seine Stimme geht am Ende der Sätze hoch und er hebt die Augenbrauen. Ich sage «Ja». Ich frage ihn, ob er weiß, dass man auch andere Sachen im Bett machen kann. Er nickt sehr verklärt. Wir sagen einfach zu allem «Ja».
Ich zeige Milan auf dem Stadtplan, wo es heute hingeht. Wir geben den Schlüssel einem der beiden sehr alten Männer, die sich den Job an der Rezeption teilen. Der eine sitzt tagsüber da und der andere hat uns nachts einmal den Schlüssel für das Tor zum Parkplatz gegeben. Die restlichen Tage fuhren wir wieder Straßenbahn, weil Milan die Straßenbahn nicht parken muss. Milan und der Alte lachen über etwas, das im Fernsehen kommt. Der Fernseher ist winzig und steht im Regal. Ich fühle mich einsam, aber nicht schlimm. Ich habe meinen Pass wieder und zeige Milan das schreckliche Bild. Milan und ich lachen. Ich fühle mich nicht mehr einsam. Der sehr alte Mann kuckt uns an und wahrscheinlich fühlt er sich jetzt einsam.
Heute fahren wir wieder mit dem Auto. Milan wirft seinen großen Rucksack hinten auf die Bank, dann küsst er mich. Ich sage: «Ah!», weil ich ihm auch ein Foto schenken will, obwohl er viele von mir gemacht hat. Er sagt: «Ohhh!» als er das Foto sieht, weil es niedlich ist. Meine Tochter ist da zwei Jahre drauf, aber ich sah genauso aus.
Ich lege mir den Stadtplan auf den Schoß und Milan schaut immer wieder drauf. Nachts wollte er nie etwas von meinem Schoß sehen, nur rein. Das macht nichts. Viele haben meinen Schoß schon gesehen und fanden ihn schön. Milan wollte nur rein. Ich hätte mir einen Stadtplan drauf malen sollen, dann hätte er die Straßen mit den Fingern nachmalen können, immer im Kreisverkehr um die Sehenswürdigkeiten herum. Er fand das keine Sehenswürdigkeit. Ich versteh das nicht, nein, weil ich mir gerne Schwänze ansehe, immer wieder. Ich tippe auf den jüdischen Friedhof und sage: «Oder hast du schon mit sehr vielen Frauen geschlafen, und es interessiert dich nicht, wie ich aussehe.» Er antwortet etwas und zeigt etwas in Prag, auf meinem rechten Oberschenkel.
Als wir da sind, spiele ich ihm vor, dass er bezahlen muss. Er versteht und zählt sein Geld. Die Schlange vor der Kasse ist lang, weil gleich eine Führung auf Französisch anfängt. Neben dem Eingang zum Friedhof nimmt Milan sich einen blauen Papierdeckel, den sich die Männer auf dem Kopf ablegen. Auf Milans großem Kopf sieht das lustig aus, aber wir lachen nicht auf dem Friedhof. Vor uns haben Männer richtige Judenmützen auf, die sind mit Haarklammern festgesteckt. Wir gehen die abgesteckten Wege entlang, sehr langsam, weil die Gruppe Franzosen
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