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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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haben die Farbe seines Lederrucksackes. Er redet Deutsch mit seinem Handy. Er gefällt mir, wirklich, nicht wie Milan, wirklich. Ich lächel zu ihm, bis er es sieht. Er ist sehr beschäftigt, ich muss lange lächeln. Kann sein, er borgt mir Geld oder ich nehm es ihm weg und dann renne ich. Ich renne bis nach Berlin und ich schaffe das, weil ich an Peter denke. Ich weiß schon, warum ich meinen Rucksack nicht in Milans Auto gelassen habe.
    Der Mann mit den Haaren wie sein Rucksack schaut immer noch nicht zu mir. Gleich fällt mir eine Frage ein, wo wohnst du, nimmst du mich mit?
    Milan setzt sich neben mich. Er ist nicht böse, aber skeptisch. Er sagt: «Pizza!». Er will die anderen Synagogen nicht mehr sehen, oder er will lieber auf mich aufpassen, obwohl klar ist, dass ich heute fahre, will er, dass wir uns verabschieden. Es wären noch vier Synagogen gewesen, vier Gelegenheiten ihn zu verlieren ohne wegzulaufen.
    Milan seufzt. Wir sind erst vier Tage zusammen und schon mache ich ihm Kummer. Ich laufe neben ihm zum Auto, sitze neben ihm im Auto und gehe neben ihm zur Pizzeria. Meine Hand ist gefangen von seiner, mein Herz aber nicht. Ich bin weit weg von zu Hause und ich weiß nicht, ob ich zurückkehren werde. Ich werde Peter nie vergessen, nie.
    Milan redet viel. Es klingt traurig, also kucke ich traurig, es geht um die Juden oder um mich oder um ihn. Er redet in der Pizzeria weiter und weiter und weiter. Zwischen dem Traurigkucken gehe ich auf Klo. In der Pizzeria ist es wie überall, wo wir essen waren, die Klotüren sind nicht verschließbar. Die einzige verschließbare Klotür in Prag war die Klotür im Hotel. Das Klo in der Pizzeria ist überschwemmt und das Licht geht nicht an, aber aus geht es, denn aus ist es ja, es geht nur nicht an. Ich komme damit klar. Ich komme mit allem klar. Ich gehe zurück zu Milan, der sofort weiterreden will, aber ich nehme die Kerze vom Tisch und gehe wieder. Wenn ich die Füße gegen die Tür stemme, damit keine Tschechin eine peinliche Situation erlebt, für mich wäre es nicht peinlich, nein, dann werden auch die Füße nicht nass, gut.
    Beim Anziehen fällt ein Stern von meinem Schlüpfer. Er war oben am Bündchen angenäht. Ich suche den Stern, finde ihn und wasche ihn und meine Hände, und gehe mit der Kerze zurück an den Tisch. Das mit dem Stern ist ein Zeichen, klar. Ich werde nicht zurückkehren, klar. Ich bleibe hier oder Peter holt mich. Ich schicke Holger weg, wenn er mich findet, nur Peter kann mich holen. Und er wird, ich will.
    Milan hat mir dieselbe Pizza bestellt wie gestern, dabei will ich gar nicht immer das Gleiche, nein. Ich will auch nicht immer ihn. Er redet viel. Ich kaue meine Pizza, langsam. Ich trinke Wasser und er redet, weil er schon fertig ist mit Essen. Ich gebe ihm die Randstücke meiner Pizza, Ruhe.
    Ich weiß nicht, wem ich mich überlasse, bleibe ich bei Milan, suche ich den Mann mit dem Rucksack, suche ich irgendeinen Mann ohne Rucksack?
    Eine Frau kommt an unseren Tisch und legt vor jeden von uns einen Zettel, also zwei. Dann geht sie an die anderen Tische. Auf dem Zettel steht: «Guten tag meine damen, meine herren. Verzeihen sie, ich bin taubstumm. Bitte kaufen sie einen kleinen gegenstande im Werte von 36 Kronen für 2,50 Euro. Wenn mehr – bei Ihnen ist ein herz wohladelig. Vielen dank, glückliche Reise.» Und auf Englisch und auf Tschechisch.
    Milan kauft den kleinen Gegenstand in einem bestimmten Wert zu einem anderen Preis. Dann schenkt er ihn mir. Es ist ein Delphin, der in sich glitzerndes Wasser hat. Wir lachen mal wieder.
    «Thank you!», sage ich, alles meine ich, danke.
    Als wir gehen, sehe ich oben das Paar mit den Windjacken, aber die Windjacken hängen über den Stühlen. Ich erkenne die Menschen trotzdem, an den Gesichtern. Ich muss gar nichts machen, das Leben kommt zu mir. Die Frau sagt mir, dass sie heute nach Frankfurt/Oder fahren. Drei in einem Auto sind nicht zu viele und sechs Tage waren lang genug. Es bietet sich an, dass ich Milan umarme und wir unsere Adressen vertauschen. Er küsst bedeutungsvoll, weg.

siebzehn
    Liebes, liebes, hoch verehrtes Tagebuch, welches ich nicht führe – das wäre ja auch zu viel Aufwand, nur um es später zu verbrennen – letztens hatte ich jedenfalls Geburtstag, kommt vor. Natürlich war es ein ganz toller Tag, so wie alle anderen tollen Tage in meinem Dasein als ich. Just an jenem Freudentag rief Heike an, obwohl sie sich sonst dadurch auszeichnet, nicht anzurufen und sehr

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