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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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immer wieder stehen bleibt. Außerhalb des Friedhofes ist es sonnig, hier ist es dunkel und die Grabsteine stehen wie schlimme Zähne. Es sieht aus wie auf den Postkarten, nur mehr davon. Eigentlich ist alles nur alt. Also findet Milan es: «Öy!». Er hockt sich hin, um in Augenkontakt mit der alten Schrift zu sein. Überall stehen Schilder, dass ich das nicht fotografieren darf, weil es davon kaputtgehen könnte. Zwischen den Grabsteinen harkt ein Mann in einem Kittel. Er harkt Ästchen und Blätter zusammen. Als er sich bückt, stößt sein Hintern an einen Grabstein. Ich habe in Prag noch gar nichts fotografiert, aber mich hat auch nichts an Peter erinnert. Ich könnte Milan fotografieren und das Foto Ina zeigen. Milan starrt auf die hebräischen Zeichen und berührt einen Grabstein sogar. Ich frage ihn, ob er das lesen kann. Er sagt: «Pzchpschpzchkr.» Er kann es also lesen oder nicht, oder er ist betroffen. Eine Frau, die vor uns geht, dreht sich um und kuckt uns an. Ihr Mann geht weiter. Sie tragen beide die gleichen Windjacken. Sie kuckt fragend. Na und? So unterhalten wir uns, Milan und ich. Einfach nur, weil wir miteinander reden wollen. Wir zeigen damit, dass wir uns füreinander interessieren und oft merken sich Menschen sowieso nicht, was andere Menschen sagen. Wir kennen uns darum genauso gut wie die Frau und der Mann in denselben Windjacken.
    Die Frau redet mit Milan. Ich weiß wieder nicht, worum es geht. Die Frau wendet sich an mich. Sie spricht auch meine Sprache, seine und meine.
    «Ich soll ihnen sagen …», sagt die Frau. Ihr Mann steht daneben und freut sich mit höflichem Gesicht, dass seine Frau übersetzen kann, und dabei gibt es nichts zu übersetzen, wenn man miteinander schläft. Ich werde jetzt etwas über Milan erfahren, ob er Hebräisch kann oder nicht.
    «Die Tür im Hotel ist verkehrt herum furniert.»
    Milan schaut erwartungsvoll. Ich habe ihn lieb. Ich lache. Wir stehen auf dem jüdischen Friedhof, zwischen Grabsteinen und zwei Windjacken und lachen über eine Tür. Eine fremde Frau übersetzt mir einen Satz von einem fremden Mann, Milan.
    «Wollen Sie ihm etwas sagen?», fragt mich die Frau und ich weiß nicht, was Milan wissen muss. Über die Tür? Dass ich ihn lieb habe? Ich werde ihn nachher küssen, er weiß das.
    «Ich muss heute zurück nach Berlin.»
    Als Milan das hört, ist er traurig, wie er sein soll auf dem jüdischen Friedhof, Kiesel statt Blumen. Ich mache ein Foto von ihm. Der Mann, der zwischen den Grabsteinen harkt, kuckt böse. Ich zeige auf Milan, der nicht kaputt geht, wenn ich ihn fotografiere. Das Windjackenpärchen verabschiedet sich von uns. Ich hätte Milan viel sagen können, aber wenn dann viel und nicht wenig.
    Milan tippt auf die Sammelkarte. Er will alles sehen: fünf Synagogen, eine Galerie, ein Museum und den Friedhof haben wir schon. Am Ausgang des jüdischen Friedhofs steht, dass die Steine vor ein paar Jahren mit Sand gestrahlt wurden. Komisch, da legen die Juden zum nicht Vergessen Kiesel auf die Steine und lassen Staub entfernen, den die Natur zum Vergessen auf die Steine legt. Und sie entfernen den Staub mit Sand. Ich flüster das Milan ins Ohr. Ich will es nicht laut sagen, weil viele Deutsche hier sind. Milan küsst mich.
    Dann gehen wir in das Museum. Das ist gleich beim Friedhof. Ich langweile mich fast sofort. Gegenstände in Glasvitrinen machen mich sehr müde. Ich gehe auf die Straße, gehe einfach, während Milan sich ein angebranntes Bild ansieht. Wir werden uns schon wieder finden. Wir haben uns einmal gefunden und finden uns wieder wieder.
    Ich setze mich auf den Bürgersteig und schaue mir die Sammelkarte an. Auf der Karte wird gebeten, dass wir uns pietätvoll verhalten. Was pietätvoll ist, zeigen kleine Verbotsschilder: nicht rauchen, nicht essen – zumindest kein Eis und kein Cheeseburger –, wir sollen nicht filmen und knipsen, kein Hund sein und kein T-Shirt tragen. Es ist sehr leicht, die Bilder falsch zu verstehen. Ich kann das. Ich könnte mich obenrum nackt machen und in das Museum zurückgehen, nur so. Früher hätte ich das gemacht. Drogen machen einen komischen Humor. In den Parkanlagen in Prag steckt im Rasen ein Verbotsschild, das auch nicht klar ist. Auf dem Schild sind zwei Herrenschuhe, die über einen Rasen schweben und das ist durchgestrichen. Männer dürfen nicht über die Wiese fliegen. Frauen dürfen alles. Ich stelle mich dumm. Ich bin dumm.
    Ich esse mein Hörnchen mit Käse. Das habe ich mir heute

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