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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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schön zu sein. Die meisten Menschen sind ja weit an schön vorbei oder knapp an schön vorbei, aber Heike ist volle Punktzahl, totaler Treffer und man kann sie trotzdem wieder erkennen. Heike hat Sommersprossen, und eine Brille ohne Rand, und sie könnte in jedem Nachschlagewerk stehen unter: verflixt kluge und verflixt schöne Frau. Sie sieht dänisch aus, oder ich irre mich mächtig gewaltig. Wie soll ich auch genau wissen, wie sie aussieht, nur weil sie angerufen hat? Ich weiß auch nicht mehr, wie sie sich anfühlt. Ich weiß jetzt nur wieder, wie sie sich angehört, die liebe Heike, genauso böse wie alle anderen auch. Immer entscheiden sich die Damen für den anderen, wenn es heißt Peter oder Blödarsch. Und als ich dachte, jetzt zieh ich auch mal so ’ne Nummer durch: Ich lass mich auf eine verheiratete Frau ein und spann sie aus und nehm sie weg und behalt sie … da ist es genau wie immer. Die Frau entscheidet sich für den Blödarsch, der nicht mehr mit ihr schläft, der aber früher ganz feine Namen für sie hatte. Und diese Lücken kann ein Zweitmann füllen: poppen und Kosenamen. Heikel habe ich sie genannt. Liebes Tagebuch, irgendwann ist Schluss mit Scheitern, mein Scheiterhaufen ist groß genug. Da kann ich gut drauf brennen, mit dir zusammen, meinem lieben Tagebuch.
    Heikes Stimme war am Telefon so dünn wie immer, wie eine Stimme eben ist, wenn ein Mädchen zu lange zu laut im Chor geträllert hat. Heike hat kaputte Stimmbänder von all den fröhlichen Liedern über Postwagen und die Hei-hei-mat. Also ist sie nicht Sängerin geworden, aber das nur in einem Haufen anderer Dinge, die Heike nicht geworden ist: die Mutter meiner Essen, die Köchin meiner Kinder, die Putze meines Lebens und die Liebe meiner Wohnung. Nicht mal nur meine Geliebte und dann ruft sie an. Alles Gute zum, viel Gesundheit, hab ich genießt nach ihr, oder was? Die hat Nerven. Ich nicht. Ich fange sofort an zu schwitzen. Das Gekippel zwischen dem Drang, sie anzubrüllen und dem Drang, sie während des Sexes anzubrüllen, treibt mir den Schweiß raus, unter der rechten Achselhöhle seltsamerweise mehr. Ich schätze mal, weil ich den Hörer mit rechts so verkrampft halte.
    Ihre Stimme fiept. Die Verbindung ist schlecht. Wir haben eine Viertelstunde geredet, wie alles so ist, wie es eben so ist. Sie sagte, dass wir mal wieder telefonieren und dann rief sie nicht an. Nachdem ich tagelang gebrütet hatte, ob ich eine Kollision vermeiden sollte und währenddessen das Telefon hypnotisierte, rief ich dann eben an, wenn die Heike nicht zum Berg kommt … Von wegen, ich rief einfach an, das war sehr schwer, aber der Abend war unterm Tiefpunkt. Ich wollte mich im Aquarium ersäufen oder eben Heike anrufen. Wir haben eine Stunde miteinander gesprochen. Sie sagte fast vor jedem Satz meinen Namen, aber das klang nicht pädagogisch. Sie wollte nur sicher sein, dass ich ihrer dünnen Stimme zuhöre.
    «Peta!» Sie sagt immer Peta.
    Also hörte ich zu.
    «Ich weiß ja, dass das alles für dich … dass alles nicht leicht war.»
    Ja, leicht ist was anderes: das Einmaleins, das Hopplahopp, Januar, Februar, März, April und sie ruft an – nach einem Dreivierteljahr. «Ja», sagte ich.
    Ja, es war schwer, wie Wackersteine im Leib, mit denen ich in einen See geschubst wurde, noch mit Schwimmflügeln dran, weils lustig aussieht, aber nicht hilft. Plumps, tot. Da fühlt man nichts mehr. Ach, liebes Tagebuch, wenn du wüsstest, was du nicht wissen kannst, weil ich dich ja gar nicht habe, aber wenn du wüsstest, dann wüsstest du, wie schwer es war. So viel warten und hoffen, dass es nachlässt, sich einzubilden, diese Frau wäre ein Guckloch in der Wand.
    «Peta …», wisperte es aus dem Guckloch, «… wir können uns doch mal wieder sehen.»
    Na, da hatte ich ja einen Batzen zu bedenken, zwischen wieder sehen und auf Wiedersehen und auf Nimmerwiedersehen. Wir rudern mit Floskeln herum. Ich rudere um die Stelle im See, an der ich untergegangen war. Um was sie herum ruderte, weiß ich nicht, um den heißen Brei vielleicht. Wir hatten beide nur ein Paddel und saßen in zwei Booten. Zusammen in einem Boot mit zwei Paddeln hätte das Sinn ergeben oder ein kitschiges Bild, das häng ich mir nicht mal hinter den Schrank.
    «Peta!»
    Also hörte ich ihrer Zellophanstimme zu, nicht nur weil sie meinen Namen gesagt hatte, sondern weil es nichts anderes zu hören gab, außer der Aquariumpumpe, die, wenn man sie aufnimmt und rückwärts abspielt, auch nur

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