Die Titanic und Herr Berg
habe Fotos von Milan. Er lächelt auf den meisten breit, lächerlich.
«Mit Holger?»
«Mit Peter», sage ich, bevor sie noch nach Frank fragt.
«Ach du hast einen neuen Freund?» Sie streicht ihr Haar zurück, obwohl sie einen Zopf hat, aber ich habe keinen Zopf und habe meine Haare hinters Ohr geklemmt, weil der Wind mit ihnen macht, was er will.
«Nein, es ist ein alter Freund.»
Wir lachen wegen alt und alt, nicht neu oder nicht jung. Wir lachen, haha, ganz leicht.
«Wie alt ist er denn?»
«So wie du», sage ich.
«Das ist doch nicht alt.» Sie klatscht mir mit dem Handrücken sanft gegen den Unterarm, wie eine Schwester. Brüder boxen, nicht auf den Unterarm, sondern auf den Oberarm, feste.
«Nein», sage ich, sie ist nicht alt und Peter ist auch nicht alt, er pubertiert. Ich will Katrin nicht sagen, wie groß der Altersunterschied ist, viel größer als zwischen mir und Patrick, und das war Katrin damals genug Unbehagen im Auge. Ich war ja auch sehr jung. Katrin sagte oft perverses Schwein, dabei wusste sie gar nichts über Patrick, nur sein Alter. Was heißt das schon? Wie alt bin ich?
«Seid ihr mit dem Auto gefahren?»
«Ja.»
«Ja», wiederholt Katrin.
Wir sind endlich vor dem Café, in das ich wollte. In dem Café sind viele Spiegel und als ich vorher überlegt habe, wohin ich mit Katrin gehen könnte, ist mir dieses Café eingefallen, und ich habe gelacht, wegen der Spiegel. Das Café gibt es noch nicht lange. Auf jedem Tisch stehen echte Blumen, immer frisch. Sie werden irgendwann aufhören echte Blumen auf die Tische zu stellen, wie in einer Beziehung, wenn es keine Eröffnungsangebote mehr gibt, traurig.
«Mit dem Auto», wiederholt Katrin und geht hinter mir in das Café.
Der Mann mit der Windjacke, der mich aus Prag mitgenommen hat, hieß tatsächlich Peter. Er war über 40, aber nicht anziehend. Vor allem stand ihm seine Frau nicht, die war zu alt, gleich alt. Frauen verfallen. Katrin hat auch Ansätze dazu. Sie hat eine Handtasche.
Im Café sind viele Tische frei, und ich gehe zu einem Tisch in der Ecke, in die mich Katrin treibt. Ich will in der Ecke sitzen. Ich mag starke Zeichen setzen. Wenn jemand verletzt ist, kann er sich auch selber verletzen, ja. Die vielen Narben auf dem Unterarm, Bäume und Fahrräder, Teppichmesser und Rasierklingen, nein.
Wir setzen uns, als wären wir über viele Dünen gewandert. Wir lächeln uns an, kurze helle Huschen übers Gesicht, die dann verschwinden, weil es sich bedeckt. Es zieht sich zu.
«Und ist dein Freund lieb?»
Sie traut mir nichts zu, nicht mal, dass ich einfach lüge. Als ob ich mich schlagen lasse, als ob ich nicht weiß, was gut für mich ist, das zum Beispiel alles nicht. Und ich könnte trotzdem einfach «Ja!» sagen.
«Ja», sage ich. Milan ist lieb und Peter habe ich lieb. Ich habe Katrin auch lieb. Sie war eine liebe Schwester. Sie hat mir alles ausgeliehen und ich habe ihr alles ausgeliehen und sie hat mir alles zurückgegeben, ich ihr nicht. Sie war lieb und jetzt sagt sie: «Tanja, du weißt, dass wir über vieles reden sollten. Ich freu mich dich zu sehen. Es ist so lange her.»
Die Kellnerin kommt zu uns. Sie bewegt sich, als wäre Kellnern ein Sport. Sie startet, sie schlägt am Tisch an. Ihr Gesicht ist ein: «Na?» Sie würde gerne erraten, was wir bestellen wollen und auch gleich vorher fragen, ob es uns geschmeckt hat.
«Kommt sofort!», sagt sie, als wir zweimal heiße Schokolade bestellen. Erst habe ich bestellt und dann hat Katrin gesagt: «Für mich bitte auch.» Kommt sofort, dabei haben wir nicht gedrängelt, für mich bitte auch, Hochwürden, Knicks. Erwachsene sind blöd.
Katrin und ich haben als Kinder oft heiße Schokolade getrunken, die hieß damals aber Kakao oder Trinkfix. Eine leere Trinkfixpackung war der Sarg von unserem Meerschweinchen Fritzi.
Katrin behauptet: «Ich finde, dass es richtig war, wie Mama und Papa gehandelt haben, in jeder Situation, zu jeder Zeit. Ich denke, dass du weißt, dass es keinen Ausweg gab. Das Heim …»
Katrin und ich haben damals sehr gelacht bei der Vorstellung, dass in Millionen von Jahren Außerirdische auf die Erde kommen, und die Erde ist ein «schwebendes Grab im All, auf dem keine Blume wächst», wie die Puhdys es gesungen haben. «Vielleicht», heißt es in dem Lied, «wenn auf der Welt der Hass und die Gier so groß werden, dass nichts, aber auch nichts mehr sie retten kann …» Über das Lied haben wir nicht gelacht, da haben wir uns gefürchtet, weil
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