Die Tochter der Dirne
arbeitet in Westminster.“
„Ausgezeichnet.“ Ihre Mutter lächelte. Sie unterdrückte die Enttäuschung und wandte sich dem Notwendigen zu. „Ich erwarte von dir, dies hier zu unser aller Vorteil zu verwandeln. Auch deine Schwester braucht einen Gemahl.“
Jane wehrte ab. „Aufhören. Aufhören, alle beide.“ Sie lief hinaus.
Solay blickte ihre Mutter an, die seufzte und den Kopf schüttelte. „Jane möchte ihr Leben den Büchern widmen, aber sie war nie so klug wie du.“
Und auch nicht so kaltblütig, dachte Solay und wünschte, Jane könnte immer so unschuldig bleiben, wie sie jetzt war. Sie hatten die Lage zu offen besprochen für ein fünfzehnjähriges Mädchen. „Ich gehe zu ihr.“
Sie fand Jane in ihrer Kammer, bei den wenigen Büchern, die ihre Mutter nicht verkauft hatte. Ihre Schwester hatte viel zu viel gehört für ihr zartes Alter.
Solay schloss sie in die Arme. „Keine Sorge. Wenn ich verheiratet bin, finden wir einen Gemahl für dich.“
Jane versteifte sich. „Ich will keinen Gemahl.“
„Natürlich willst du das.“
Die Schwester schüttelte heftig den Kopf und seufzte. „Muss ich unbedingt eine Frau sein? Kann ich dem nicht entkommen?“
„Entkommen? Was meinst du damit?“
„Ich will frei sein. Wie ein Mann.“
Solay erschauerte bei diesem Gedanken. Wie lebten denn Männer mit der Macht? Beugen konnten sie sich nicht, also brachen sie. Besser war es, sich anzupassen. Aber Jane liebte Bücher und Pferde. Es hatte ihr nie gefallen, eine Frau zu sein.
„Keiner von uns hat das Leben gewählt, das die Sterne uns gaben“, sagte Solay und ließ einen Finger über den samtenen Einband des Stundenbuches ihrer Mutter gleiten, das die Karten der Planeten enthielt. Nun, da es ihr vom König verboten war, verlockte sie dieses Thema mehr denn je.
„Ebenso wenig, wie wir uns unsere Eltern aussuchen können“, seufzte Jane.
„Oder unsere Ehemänner.“ Solay nahm das Buch in die Hand. „Vielleicht erlaubt Mutter, dass ich es mitnehme. Hast du etwas dagegen?“ Sie hatte ihre Schwester das Lesen gelehrt, aber Jane war ein größerer Bücherwurm geworden, als sie es je gewesen war.
Jane schüttelte den Kopf. „Es sollte dir gehören. Du studierst die Sterne.“
„Mit mäßigem Erfolg.“ Aber vielleicht besser, als es ihr bewusst war. Sie hatte etwas über die Geburt des Königs herausgefunden, das nicht einmal er selbst gewusst hatte. Und etwas über ihre eigene. „Jane, ich habe herausgefunden, wann ich geboren wurde. Es war am Sankt-Johannis-Tag!“
„Was ist mit mir?“, fragte Jane und lächelte nun endlich. „Wann wurde ich geboren?“
Die Frage brach Solay beinahe das Herz. Dieses Mädchen wollte lieber ein Geburtsdatum als einen Ehemann. „Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.“ Vielleicht würde Justins geheimnisvolle Wäscherin auch Janes Frage beantworten können. „Ich verspreche es.“
Fünf Tage später hielt Solay ihrer Mutter das Buch mit dem samtenen Einband hin, während diese ihre letzten Kleider in die Reisetruhe legte. „Darf ich das mitnehmen, Mutter?“
Ihre Mutter, die sich aus Büchern nie etwas gemacht hatte, nickte. „Wenn du möchtest. Aber pass gut darauf auf. Die Bücher und der Schmuck sind leicht zu transportieren und leicht zu verkaufen. Dieses hier würde fast ein Pfund bringen, wenn wir es brauchen sollten.“
Als Solay den Deckel der Truhe schließen wollte, hielt ihre Mutter ihre Hand fest. „Die Brosche sollte dir gehören“, sagte sie. „Ich werde sie behalten, solange ich kann.“
Solay nickte. Das Schmuckstück würde sie ernähren müssen, falls ihrem Gemahl das nicht gelang.
„Du musst dafür sorgen, dass der König und dein Gemahl dir gewogen bleiben. Wir werden sie im nächsten Jahr brauchen.“
Von einer dunklen Vorahnung erfasst, sah Solay ihrer Mutter in die Augen. Sie war kein Kind mehr und durfte nicht damit rechnen, wie eines umsorgt zu werden. „Dieser Mann, er ist nicht wie die anderen.“
„Alle Männer sind gleich. Sogar ein König. Finde heraus, was dieser Mann will, und gib es ihm.“
„Wie soll ich das machen? Wie hast du es gemacht?“
Ihre Mutter blickte aus dem Fenster, als sähe sie die Vergangenheit in den Wolken, die über das winterlich braune Gras hinwegzogen, das sich hier und da durch den Schnee schob. „Als die Königin starb, brauchte der König Trost, aber er wollte, dass die Menschen ihn auch weiterhin als Krieger achteten. Also war es nötig, dass ich …“, sie
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