Die Tochter Der Goldzeit
abgeneigt, wie man hört.«
Torya verzog angewidert das Gesicht.
»Na siehst du!« Gulwyon schlug einen versöhnlicheren Tonfall an. »Nimm Olfarkan und lass ihn deinen Thronfolger zeugen. Danach sehen wir weiter.«
»Ich will ihn nicht«, sagte Torya trotzig. »Schick ihm einen Boten mit meinem Nein.«
»Ich werde mich hüten, gegen die Stimmen der Finsterwelt zu handeln!« Der Magier ballte die Fäuste. »Sag es ihm selbst, wenn er zum nächsten Vollmond nach Albodon kommt! Doch ich warne dich: Niemand lehnt sich ungestraft gegen die Mächte des Schicksals auf!«
Kapitel 18
Er lag auf einem Lager aus Gras, Zweigen und Laub in einer Erdhöhle. Seit Wochen. Oder seit Monden? Anfangs schlief Bosco nur. Manchmal berührte ihn jemand, dann öffnete er sein unverletztes Auge und sah wie durch Nebel die Gestalt einer Frau. Valena? Sie tränkte ihn jedes Mal, gab ihm Früchte zu essen, erneuerte den Verband über seiner wunden Augenhöhle. Danach ging sie wieder.
In seinen Träumen wanderte Bosco durch die langen Sommer, in denen er einst auf die Rückkehr seiner Mutter gewartet hatte. Er streifte wieder durch die wilden Wälder und suchte sie, er saß in seinem Baumhaus am Bergsee und hielt nach ihr Ausschau. Einmal sah er sie unten im hohen Gras vor dem Stamm stehen. »Mein Ginolu«, sagte sie. Sie trug ein weißes Kleid und lächelte. So schnell er konnte, kletterte er hinunter. Doch nicht schnell genug - sie war schon verschwunden. Tief über dem Wasser des Sees flog ein großer weißer Vogel davon.
Als er wieder zu Kräften kam, lag Bosco oft wach und dachte an diese Sommer zurück. Wie alt war er gewesen, als er aufhörte, auf seine Mutter zu warten? Neunzehn? Es muss um die Zeit gewesen sein, als er auf Chiklyo für das Mädchen zu brennen begann. Er erinnerte sich an den Tag, als ihn am See der Anblick eines weißen Vogels in den Bann schlug, ähnlich dem aus seinem Traum. Seitdem glaubte er, seine Mutter sei nicht gestorben, sondern habe sich einfach nur ihren Lebenswunsch erfüllt: Sie wollte immer ein Vogel sein. Warum sollte sie sich nicht in einen verwandelt haben? Sie hatte ja auch sonst erstaunliche Dinge zustande gebracht.
Es war nicht Valena, die ihn pflegte und mit Wasser und Nahrung versorgte. Eine Fremde tat es. Sie war jung und hatte langes, weißblondes Haar. Die Öllampe neben Boscos Lager schien heller zu brennen, wenn sie die Erdhöhle betrat. Wie hieß sie? Warum tat sie, was sie tat? Bosco fragte nicht. Eine Scheu, die ihm sonst fremd war, hielt ihn davon ab.
Einmal saß er auf seinem Lager und spielte auf der Mundharmonika, als sie sich zu ihm in die Erdhöhle bückte. Sie brachte Wasser und einen gegarten Fisch.
Bosco machte sich mit Heißhunger über das Essen her.
»Bald bist du wieder gesund«, sagte sie und lächelte. Ihre Stimme und ihre Art zu lächeln gefielen ihm; beides erinnerte ihn an seine Mutter. Mit seinem Inneren Augenohr belauschte er ihren Geist. Er spürte stille Heiterkeit und einen unbeugsamen Willen.
»Wie geht es den anderen?«, wollte er wissen.
»Für viele ist es vorbei, für manche hat es neu angefangen.«
»Und Valena?« Bosco hielt den Atem an.
»Sie wird neu anfangen, und ihr Kind auch.«
Er beugte sich vor, und als er in ihre Augen sah, erschienen sie ihm auf einmal rötlich und uralt. »Und Tarsina?«
»Sie will dich sehen.«
»Dann bring mich zu ihr!«
»Sobald der letzte Schnee geschmolzen ist.«
In der folgenden Nacht hörte er sie neben seinem Lager sprechen. Im Halbschlaf dachte er, sie spreche mit sich selbst, doch dann blinzelte er in gleißendes Licht und erschrak: Zwei Frauen saßen bei ihm. Sie sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Eine unerklärliche Furcht befiel Bosco, kaum wagte er zu atmen.
»Er hat einen langen Weg hinter sich«, hörte er die Eine sagen.
»Er hat einen langen Weg vor sich«, hörte er die Andere antworten.
»Wie viel er leiden musste.« Zärtlichkeit schwang in diesen Worten mit, und Boscos Furcht verflog. »Und wie viel er verloren hat.«
»Keiner kann Bleibendes gewinnen, der zuvor nicht Flüchtiges verliert«, antwortete die andere Stimme. »Und niemals könnten wir ihn dorthin bringen, wo sein Platz ist, wenn er nicht all dies erlitten hätte.«
»Zur Lichterburg?«
»Zur Lichterburg.«
Einen halben Mond nach dieser Nacht stand die Fremde mit dem weißblonden Haar plötzlich in seiner Erdhöhle und überreichte ihm einen Rucksack aus schwarzem Wildleder. »Es ist Frühling. Die dir nach dem Leben
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