Die Tochter Der Goldzeit
Er war sogar noch einen Kopf kleiner als Bosco, hatte ein schmales, knochiges Gesicht und fahle, gelbliche Haut. Weil er die rote Kapuzenkappe in den Nacken gestreift hatte, sah man seinen schütteren grauen Haarkranz.
»Ich wusste es doch nicht.« Der Ratsälteste richtete sich auf den Knien auf und rang flehend die Hände. »Sie sagten, sie seien Händler aus Apenya und Räuber seien hinter ihnen her! Dabei waren es zwei Söhne und eine Tochter der Goldzeit. Wie hätte ...?«
»Nenne sie nicht so!«, fuhr der Kriegsmeister ihn an.
»Dabei waren es Maulwürfe«, wiederholte der Ratsälteste kleinlaut. »Wie hätte ich denn wissen sollen, dass es keine Kaufleute ...?«
»Ein ganzes Heer jagt sie, und du glaubst ihnen?« Die hohe Stimme des Zwergs klang schneidend scharf. »Betavar selbst und Krieger aus Jusarika führten das Heer, und du gabst ihnen nicht, was sie forderten?«
»Wie hätte ich den treuen Diener Dashirins denn erkennen sollen? Niemand hatte mir die Krieger deines Heeres gemeldet, mein Fürst! Man kündigte mir lediglich Fremde an, die angeblich die Auslieferung unserer Gäste verlangten. Da berief ich mich auf das Gastrecht, mein Fürst!«
Tarsina war hier gewesen! Bosco zwang sich zu ruhigen, tiefen Atemzügen. Die Meisterin und zwei Männer aus Tikanum. Sie waren nach Dalusia geflüchtet, ausgerechnet nach Dalusia .
»Es war ein schwerer Fehler von dir, nicht persönlich ans Tor zu kommen, um mit Betavars Primoffizieren zu sprechen«, sagte der Zwerg.
»Aber lehrt nicht Dashirin selbst, jeden Fremden aufzunehmen, der ein Mahl und ein Dach über dem Kopf begehrt, mein Fürst?«
»Nicht, wenn der Fremde ein Feind der Neuen Goldzeit ist!« Der kleingewachsene Fürst blickte zu seinen dalusianischen Kriegern. »Fesselt ihn und bringt ihn ins Ratsgebäude! Und schafft seine Sippe herbei!« Er blickte in die Menge. »Und ihr bleibt hier, damit ihr seht, wie es denen ergeht, die den Feinden der Wahren Goldzeit Gastrecht gewähren!«
Bosco wurde übel, Brechreiz würgte ihn. Vom Eisernen verfolgt, hatte Tarsina hier Zuflucht gesucht! Wer mochten ihre beiden Begleiter gewesen sein? Und wohin wollte sie, dass ihr Fluchtweg ausgerechnet über Dalusia führte? Der Eiserne schien weitergezogen, das fürstliche Heer erst nach dem Überfall in die Stadt gekommen zu sein.
Bosco drängte sich in die Menge.
»Du bist nicht von hier«, sprach eine Greisin ihn misstrauisch an. »Und zum Heer des Fürsten gehörst du auch nicht!« Sie musterte ihn. »Wer bist du und woher kommst du?«
»Ich bin Ginolu von Apenya. Lass mich durch!«
»Ginolu?« Eine Männerstimme erhob sich über dem allgemeinen Raunen. »Habe ich richtig gehört? Ginolu von Apenya?« Flankiert von zwei Speerträgern, schritt ein Mann mit langem Grauhaar durch die Gasse, die sich in der Menge bildete. Er trug einen edlen blauen Mantel über einem braunen, mit Silber verzierten Lederharnisch. Statt einer Hand ragte ein Haken aus seinem rechten Mantelärmel. Vor Bosco blieb er stehen und betrachtete ihn. »Zwölf Sommer ist es her, da habe ich einen mit diesem Namen aus dem Meer gefischt. Er sah schöner aus als du, weiß der Finsterfürst! Kann man in zwölf Sommern ein Auge, sein Haar und sein hübsches Gesicht verlieren?«
Mit kaltem, einäugigem Blick musterte Bosco den Mann, der ihn einst in die Sklaverei geschickt hatte. »Wenn man lange genug in einem Steinbruch geschuftet und mit Mordgesindel gekämpft hat, büßt man so manches ein, Maragostes.« Er erinnerte sich genau, wie der Flottenmeister ihn damals aufgefordert hatte, für den alten Fürsten und gegen die Eroberer zu kämpfen. »Du scheinst dein Amt nicht eingebüßt zu haben. Hast du rechtzeitig die Seiten gewechselt?«
»Sogar die Stimme ist eine andere geworden!« Der Flottenmeister fasste ihn am Arm und führte ihn ein paar Schritte zur Seite. »Nicht so laut, mein Freund«, raunte er ihm dann zu. »>Die Seiten gewechselt - so könnte man das schon nennen.«
»Wie nennst du es, Flottenmeister?« Aus dem Augenwinkel beobachtete Bosco, wie man den gefesselten Ratsältesten durch das geborstene Portal in das Ratsgebäude zerrte.
»Ich habe mich vom Gesetz Dashirins überzeugen lassen. Es geht um die Wahre Goldzeit, mein Freund. Wer ein wenig Hirn im Schädel hat, sollte dafür kämpfen . Hast du dein Auge im Steinbruch verloren?«
»Barbaren haben mich und meine Sippe überfallen«, erklärte Bosco. »Deswegen komme ich auch erst in diesem Frühjahr dazu, mich beim neuen
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