Die Tochter Der Goldzeit
hinaus. Katanja half ihm. »Ich bleibe vor der Tür sitzen und passe auf dich auf!«, sagte er, bevor er die Luke schloss.
Es wurde wieder dunkel im Laderaum.
Eine Zeitlang lärmten und palaverten die Poruzzen noch vor der Laderaumtür. Katanja hörte die barsche Stimme des Capotans und das Klatschen mehrerer Ohrfeigen. Danach entfernten sich Schritte, und es kehrte Ruhe ein. Erst als das Licht des Morgengrauens durch die vergitterte Luftluke in der Decke fiel, sank Katanja endlich in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen, während Katanja Waller Roschs Verletzungen versorgte, trat der Capotan zu ihr. »Wir haben mehr Kranke als Flaschen mit Gerstenwässerchen an Bord«, erklärte der Kahlkopf.
»Mein Bruder Otman kriegt das nicht allein hin. Du bist doch Heilerin, oder? Wenn du meinen Sohn verbunden hast, kannst du etwas essen, und dann mach dich an die Arbeit.«
Wenig später hockte sie auf dem erhöhten Heck der Esvalya, unter dem die Kajüte des Capotans lag. Das Schiff ankerte einen halben Speerwurf vom Stromufer entfernt. An der Treppe zum Heck sammelten sich die Kranken. Einer nach dem anderen stieg die Stufen zu Katanja herauf oder wurde hochgetragen. Otman Rosch, der Bruder des Capotans, und sein Gehilfe stellten ihr jeden einzelnen Kranken vor.
Otman Rosch war ein massiger Mann von etwas mehr als vierzig Wintern. Man sah ihn selten ohne seinen schwarz-gelb bemalten Helm, aus dem ein dünnes Zöpfchen hing, zu dem er sein Haar geflochten hatte. Sein junger Gehilfe hieß Karion Wenz und war von kleiner und drahtiger Gestalt. Notdürftig bedeckte noch die schwarz-gelbe Kriegsbemalung vom Vortag die unzähligen Brandnarben seines Vogelgesichts. Er hatte eine Hasenscharte und einen Sprachfehler. Möglicherweise gab er sich deswegen so wortkarg.
Kaum die Hälfte der über hundert Menschen an Bord des Dreimasters war gesund. Viele litten unter nässenden Wunden, die seit Monden nicht heilen wollten. Andere, vor allem die kleinen Kinder und Alten, quälte chronischer Husten und Schnupfen. Wieder andere wurden von Hautausschlägen und Juckreiz geplagt. Dazu kamen die acht Poruzzenkrieger, die beim Angriff auf das Pfahldorf verletzt worden waren.
Der Herbstwind trieb graue Wolkenfetzen über den Himmel, es war merklich kühler geworden, doch wenigstens regnete es nicht mehr. So konnte Katanja den Vormittag über auf dem Heck bleiben und die Kranken behandeln. Otman und Wenz versuchten ihr zu helfen, so gut sie konnten, sahen ihr auf die Finger, lauschten ihren Worten.
Gegen Mittag brachten sie den letzten Kranken zu ihr, einen fiebernden Jungen von sechs Wintern: der dritte an Bord mit einer Lungenentzündung. Mitleid ergriff Katanja, als sie in die großen Augen des abgemagerten Kindes bückte. War sie nicht im gleichen Alter gewesen, als sie zum ersten Mal den Anderen begegnete? Ohne diese Begegnung hätte ihr Lebensweg sie niemals auf dieses Schiff geführt. Wohin würde das Leben diesen hustenden Jungen führen? Hatte er überhaupt eine Zukunft? Sie streichelte seine Wangen, verordnete ihm Brustwickel und gab ihm Tropfen einer Tinktur, die sie mit anderen Heilmitteln in ihrer Truhe aufbewahrte.
Erschöpft stieg sie danach die Treppe zum Oberdeck hinunter. Sie sehnte sich nach ihrem Winkel im Laderaum. Doch als sie an der Kajüte des Capotans vorbeiging, streckte Cahn Rosch seinen Kahlkopf aus der Tür und winkte sie zu sich herein. Katanja betrat die großzügige Kajüte, in der es nach Leder und Rosenblüten roch. Auf dem Bett unter dem kleinen Heckfenster lag eine junge Frau.
Katanja trat zu ihr. Die Augen der Frau waren glasig, ihr Gesicht hohlwangig und ihre ehemalige Schönheit nur noch zu ahnen. Katanja erkannte auf den ersten Blick, dass sie dem Tod näher war als dem Leben.
»Es geht ihr nicht gut.« Cahn Roschs Stimme klang heiser und weicher als sonst. Katanja begriff, dass ihm die Frau etwas bedeutete. Sie setzte sich zu ihr auf das Bett und untersuchte sie sorgfältig.
Die Kranke hatte Fieber, ihre Brust und Schenkel waren von tiefen Wunden bedeckt. Einige eiterten, andere waren von rot glühenden Wundhöfen umgeben. Im Lauf des Vormittags hatte Katanja schon ähnliche Verletzungen gesehen.
»Wer hat ihr diese Wunden beigebracht?«
»Vögel.« Cahn Roschs Miene verdüsterte sich. Er deutete aus dem Fenster über dem Krankenbett. »Solche zum Beispiel.«
Katanja blickte hinaus und entdeckte auf einer Stange, an der die gelb-schwarze Flagge hing, den Blauen. Er äugte mit schief
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