Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
gelegtem Kopf in die Kajüte. »Ihr seid von Kolks angegriffen worden?« Katanja konnte es nicht glauben.
    »Nicht nur von Kolks, auch von größeren Vögeln.«
    »Der Blaue ist zahm.« Sie deutete zum Fenster hinaus. »Und er gehorcht mir aufs Wort.« Katanja erinnerte sich an die Wut Waller Roschs, als der Blaue neben ihm auf dem Anlegesteg gelandet war.
    »Dann solltest du ihn wegjagen, denn wenn die Männer ihn auf dem Schiff entdecken, dann töten sie ihn.« Der Capotan bückte finster drein. »Was kannst du für sie tun?«
    »Warum haben die Vögel euch angegriffen?«
    »Beim Würfelglück der Götter, ich hab dich was gefragt! Kannst du ihr helfen, Seherin?«
    Katanja musterte ihn. In seiner grimmigen Miene erkannte sie tiefe Sorge. Offenbar hing der grobe Kerl mit zärtlicher Liebe an der jungen Frau. Gelang es ihr, die Kranke zu heilen, würde sie vielleicht einen wichtigen Verbündeten gewinnen, der sie sicher nach Hagobaven brachte. »Den Großteil meiner Medizin habe ich schon für die anderen Kranken verbraucht«, sagte sie.
    »Du kennst also Medizin, die ihr helfen könnte?«
    »Gib mir eine Nacht Zeit zum Nachdenken und Lesen in meinen Heilbüchern. Morgen werde ich zwei Männer brauchen, die mich in die Uferwälder begleiten. Dort muss ich nach Kräutern suchen.«
    Sie versorgte die Kranke notdürftig mit dem, was ihre Vorräte hergaben: Weißbaumrindenextrakt und eine Wundauflage aus Kamille, Calendula und Schachtelhalm. Der Capotan nuschelte ein paar Worte, die nach Dank klangen.
    Später, zwischen den Kisten und Fässern des Laderaums, brütete Katanja beim Schein einer Öllampe stundenlang über ihren Büchern und machte sich Notizen. Grübelnd lief sie im Laderaum auf und ab, sprach in Gedanken murmelnd mit Grittana, der fernen Meisterin. Der Kater strich schnurrend um ihre Beine. Bis tief in die Nacht arbeitete sie an der Liste der Kräuter, die sie brauchte; neben jedem Gewächs notierte sie eine Beschreibung der Pflanze mit bevorzugter Lage und Bodenbeschaffenheit. Danach setzte sie sich auf ihr Lager, holte ihre Flöte aus der Truhe und begann zu spielen.
    Herbstbeginn hieß das Stück. Es beschrieb einen Spätsommerabend, das Herabschweben der ersten Blätter, die Sammlung der Zugvögel und die einsetzenden Herbststürme. Janner hatte es sich in jenen Tagen ausgedacht, als sie nach der Trennung von Weronius in der Höhle über dem Flusstal lebten. Sie spielte mit geschlossenen Augen und dachte an ihn und an jene fernen Tage. Würde sie jemals wieder solch glückliche Stunden erleben?
    Greise und Tiere im Laderaum lauschten. Der Affe schaukelte um die Truhe, als würde er tanzen. Der Wahnsinnige auf dem Rollbrett stemmte seinen Oberkörper auf kräftigen Fäusten hoch, riss den Mund auf und ließ eine tiefe Singstimme ertönen. Erschrocken sah Katanja, dass er keine Zunge hatte. Ohne Worte formen zu können, sang er die Melodie so sicher, als hätte er den Herbstbeginn schon hundertmal gehört.
    Katanja wiegte den Oberkörper im Takt ihrer Klänge. Die Zeit schien ihr unerbittliches Dahinströmen einzustellen. Etwas wie Glück perlte durch ihre Glieder und ihren Geist. Und dann, in einem einzigen Augenblick, erfasste sie die Geschichten aller, die ihrem Fötenspiel lauschten: Sie wusste auf einmal, dass zwei der alten Frauen einst als junge Mädchen aus ihren Heimatdörfern geraubt und auf die Esvalya verschleppt worden waren; sie wusste plötzlich, dass der Greis der Großvater von Waller Roschs Mutter war und hier unten, in der Dunkelheit des Laderaums, um seine tote Enkelin trauerte. Den Wahnsinnigen auf dem Rollbrett sah Katanja unter den grausamen Händen eines Kerkermeisters an Leib und Seele zerbrechen. Sie wusste auf einmal, dass er Zorcan hieß und der älteste Sohn des Capotans war. Und der Affe stammte aus der fernen Südwildwelt. Dort hatten Jäger aus Dalusia ihn gefangen. Denen raubten ein paar Winter später die Poruzzen das Tier.
    Das alles sah die Flötenspielerin mit vollkommener Klarheit und in einem einzigen Augenblick, und als er vorbei war und die Zeit weiterströmte, überwältigten sie all diese Eindrücke. Zu viel war es, was sie hatte sehen müssen. Sie setzte die Flöte ab, sank auf ihr Lager und weinte sich in den Schlaf.

Kapitel 4
    Manchmal drang ein wenig Licht in ihre Dunkelheit, dann strichen Katzen um sie herum. Sie jagten, spielten, fraßen und paarten sich. Eine kam manchmal zu ihr, leckte ihr das Fell und rieb sich an ihr. Yiou erkannte sie wieder: Es war

Weitere Kostenlose Bücher