Die Tochter Der Goldzeit
auf dem Zwischendeck zu, gegen den ihr kleiner Raum im Pfahldorf geradezu ein Prachtbau gewesen war.
Sechs andere hausten hier schon: vier alte Frauen, ein Greis und ein junger Bursche, der sich nur auf einem Rollbrett fortbewegen konnte, weil seine Beine ihm nicht mehr gehorchten. Dazu ein zahmes Paar Kleinkatzen und ein dunkelgrauer Affe von der Größe eines Kindes. Es stank erbärmlich hier unten, die Menschen rochen fast noch erbärmlicher als die Tiere.
Verglichen mit der Pritsche im Gewölbekeller des Sklavenhändlers wiederum war dieser düstere Winkel zwischen Kisten und Fässern ein Königssaal. Vor allem war Katanja jetzt eine freie Frau. Aus freien Stücken hatte sie sich dazu entschlossen, auf dem Schiff der Tiefländer mitzufahren, nachdem Waller Rosch bei seinem Vater durchgesetzt hatte, dass sie auf der Esvalya bleiben durfte; aus freien Stücken hatte sie den Winkel im Laderaum zu ihrer vorläufigen Bleibe gemacht. Sie konnte nun gehen, wohin sie wollte; und sie wollte zur Lichterburg.
Von Waller Rosch erfuhr sie die nächsten Ziele der Poruzzen: Von der Mündung des Großen Stromes sollte es durch die Tausendinselsee und über das Nordmeer zum fernen Nordsund gehen. Cahn Rosch, der Capotan, wollte dort eine der Küstensiedlungen erobern, um darin zu überwintern und den Frühjahrsraubzug vorzubereiten.
Schrecken und Erleichterung kämpften in Katanjas Brust. Schrecken, weil die Pläne der Poruzzen nichts weniger als neue Kämpfe und neues Blutvergießen bedeuteten. Erleichterung, weil der Nordsund auch ihr eigenes Zwischenziel war. Dort, an der Ostküste einer großen Insel, lag die Sozietät Hagobaven. Katanja sehnte sich danach, bei den Verbündeten ausruhen zu können. Sie sehnte sich nach Menschen, die Bücher lasen und Wissenschaft betrieben, deren Art zu denken und zu fühlen ihr vertraut war. Sie sehnte sich nach einer Zeit ohne Angst und Kampf. Von Hagobaven aus hoffte sie, neu ausgerüstet und mit starken Begleitern den weiten Weg nach Osten antreten zu können.
Eilig hatte sie es dennoch nicht mit dem Aufbruch: Insgeheim hoffte sie, Merkur würde zurückkehren, bevor die Poruzzen den Anker lichteten. Sie hoffte glühend auf eine Botschaft aus Altbergen.
In der ersten Nacht auf der Esvalya blieb sie lange wach, schrieb und las im Schein ihrer Öllampe, wie sie es gewohnt war. Ihre Mitbewohner beäugten sie neugierig von ihren Lagern aus. Der Kater schnurrte in ihrem Schoß. Auf dem Oberdeck feierten die Poruzzen den Erfolg ihres jüngsten Raubzugs. Lange nach Mitternacht erst wickelte sich auch Katanja in ihre Felle. Sie rammte einen Dolch in die Planken neben ihrem Lager und versuchte zu schlafen.
Vergeblich: Über ihr grölten die Poruzzen Trinklieder und tanzten lärmend auf den Deckplanken. Statt des Schlafes überwältigten Katanja Schuldgefühle. Bilder von brennenden Pfahldorfhütten zogen vor ihrem inneren Auge vorbei; sie hörte Frauen und Kinder schreien, sah den Hauptmann mit gebrochenem Blick vor dem Scheiterhaufen liegen.
Laute Männerstimmen, die draußen vor der Tür des Laderaums stritten, schreckten sie aus ihren Gedanken auf. Dumpfe Schläge folgten, Gebrüll, dann riss jemand die Tür auf. Lampenschein fiel herein, die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes mit wilder Mähne aus tausend Zöpfen stand im Türrahmen. Hinter ihm rangen zwei andere Männer am Boden.
Der Mann stolperte herein und wankte zu Katanja. »Komm her, Weib, komm .« Es war der, der die Angreifer im Schilf angeführt hatte; bei den Poruzzen hieß er der Wilde Moellen. Er war betrunken.
Katanja hob abwehrend die Hand. »Bleib mir vom Leib!« Gespenster der Erinnerung fielen über sie her. »Weg!« Sie tastete nach dem Dolch neben ihrem Lager. Die Greisinnen im Laderaum begannen zu schreien, als sie merkten, was sich abspielte. Moellen stellte die Lampe ab und riss ein Messer aus dem Gurt.
Draußen vor der Tür hatte inzwischen ein Mann den anderen niedergeschlagen. Der Überlegene erhob sich, rannte in den Laderaum. Von hinten sprang er den Eindringling an und schlug mit bloßen Fäusten auf ihn ein, bis Moellen Rosch sich stöhnend zwischen den Kisten wälzte.
»Alles in Ordnung?« Es war Waller Rosch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht drückte er sich die verbundene Rechte an die Brust.
Katanja nickte. Sie war erschüttert: Trotz seiner schmerzenden Wunden hatte der Poruzze den Kampf gegen den Betrunkenen aufgenommen. Waller Rosch nahm die Öllampe, packte seinen älteren Cousin und zerrte ihn
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