Die Tochter Der Goldzeit
die Graue, die sie geboren und gesäugt hatte.
So hätte es bleiben können: ein wenig Licht ab und zu, Katzen um sie herum, ein wenig Zärtlichkeit und dann wieder Nacht. Doch irgendwann hörte sie ihren Namen wie aus einer anderen Welt. Eine vertraute Stimme rief ihn, die Stimme des Feuerkopfs. Er rief ihn aus einer Welt außerhalb ihres Kopfes. Dort gab es keine spielenden, jagenden, sich paarenden Artgenossen.
Bald hörte sie den Feuerkopf öfter ihren Namen rufen, und jedes Mal spürte sie dann ihren wunden Körper und ihren schmerzenden Schädel. Erst sehnte sie sich zurück in die Welt in ihrem Kopf, wo Dunkelheit den Schmerz zudeckte, wo Katzen spielten und manchmal eine Mutter ihr Fell leckte. Doch als ihr Geruchssinn zurückkehrte und sie seinen erdigen, rindigen Duft roch, begann sie, sich nach der Welt zu sehnen, aus der er rief; vor allem sehnte sie sich nach ihm, dem Feuerkopf. Nicht lange danach erkannte sie die Umrisse seines Körpers wieder und bald sein geliebtes Gesicht. Der Feuerkopf beugte sich über sie, flößte ihr Milch ein, streichelte sie. Er saß bei ihr. Alles war gut.
Doch die neben ihm, wer war das? Eine Nackthäuterin. Gelbes lockiges Fell hing ihr lang vom Schädel. Der Feuerkopf roch anders, wenn er mit ihr sprach, seine Stimme klang rauer. Seine dunkelblauen Augen ließen nicht von ihren grünen Augen und ihre grünen Augen nicht von seinen dunkelblauen.
Yiou hatte keine Vorstellung von der Zeit, die vergangen war, seit die Hufe des Großgehörns sie getroffen hatten. Doch von dem Augenblick, als sie zum ersten Mal den vertrauten Duft des Feuerkopfs roch, bis zu dem Tag, als sie zum ersten Mal die Decken zwischen Bett und Truhe verließ und vorbei an Tisch und Stuhl durch den kleinen Raum hinkte, verging etwa so viel Zeit wie zwischen Neumond und Vollmond.
Einmal war die Nackthäuterin allein bei Yiou. Aus einem Fläschchen träufelte sie Tropfen in den Wasserkrug des Feuerkopfs. Einmal streichelten sie gemeinsam ihr Fell, der Feuerkopf und die gelbe Nackthäuterin. Dabei sprachen sie leise, lächelten, und einer hielt den Blick des anderen fest. Yiou lauschte und spähte. Die Finger der beiden berührten sich, die Frau und der Feuerkopf hielten still, keiner zog die Hand zurück. Für kurze Zeit hörten beide auf zu atmen, ein Geruch wie von überreifen Waldbeeren umgab sie auf einmal, und als sie sich ansahen, entdeckte Yiou etwas Trübes und zugleich sehr Weiches in den Augen des Feuerkopfes. Nicht einmal wenn er Rauschgetränke zu sich nahm, wurden sie derart weich. Seine Finger schlossen sich um die Hand der Frau, er führte sie an seine Lippen und küsste sie. Im nächsten Moment schlang sie ihre Arme um ihn und presste ihre Lippen an seinen Mund. Der Feuerkopf packte die Nackthäuterin, trug sie zum Bett, und Yiou schloss müde die Augen. Sie hörte Stoff rascheln, hörte die beiden flüstern und seufzen. Dann schlief sie ein.
Früh am Morgen kam die gelbe Nackthäuterin schon wieder. Sie stellte Yiou Milch und Fleisch hin, während der Feuerkopf noch schlief. Sie ließ Tropfen in seinen Wasserkrug fallen, zog ihre Kleider aus und kroch zu ihm unter die Decke. Während Yiou das Fleisch verschlang und ihre Milch aufleckte, hörte sie die Nackthäuter wieder flüstern und seufzen. Der Duft von Walderde und Pilzen verbreitete sich im Raum. Tag für Tag ging das nun so, schon morgens. Bald verbrachte die Frau ganze Nächte beim Feuerkopf.
Dann kam der Tag, an dem Yiou zum einzigen Fenster des kleinen Raumes lief und sich auf den Hinterläufen aufrichtete. Seit sie aus der Welt in ihrem Kopf wieder ins Leben zurückgekehrt war, hörte sie Wasser dahinter plätschern. Das wollte sie sehen. Ein Fluss strömte unter dem Fenster vorbei. Er war breit, doch nicht so breit, dass Yiou nicht hätte hindurch schwimmen können.
Sie lief zur Tür, und der Feuerkopf öffnete sie. An seiner Seite erforschte sie das große Gebäude. Kein guter Ort: Die Nackthäuter rochen nach Angst, sobald Yiou in ihre Nähe kam, und die meisten beäugten den Feuerkopf mit Misstrauen. In der Nähe des Kellergewölbes witterte sie Tod und Blut, und im Obergeschoss gab es eine Turmtür, durch die der bitter-saure Gestank einer Langschnauze drang. Yiou sehnte sich nach dem Wald.
Ihre Sehnsucht wurde noch größer, als der Feuerkopf ihr eines Tages ein Halsband umlegte und sie fortan nicht mehr frei durch das Gebäude streifen durfte.
Kapitel 5
Am Tag nach ihrem Gespräch mit dem Capotan ließen die
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