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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Umklammerung winden. Im Versuch, es daran zu hindern, stolperte Katanja. Es gelang ihr zwar, das Böckchen festzuhalten, doch als sie sich auf den Knien aufrichtete, sah sie plötzlich in abgeschabtes Leder gehüllte Beine aus dem Farn ragen. Männerbeine.
    Erschrocken hob sie den Blick - das stoppelbärtige, sonnenverbrannte Gesicht eines Fremden schwebte über ihr. In der Rechten hielt der Mann eine breite Klinge, in der Linken ein Netz. Er brummte etwas, das Katanja nicht verstand, rief fremdartig klingende Worte über die Schulter zurück in den Wald und wollte das Netz über ihr ausbreiten. Knurrend schoss ein Schatten unter einem Busch heraus, stürzte sich auf den Mann und riss ihn rücklings in den Farn.
    Eine Hand packte Katanja von hinten, zog sie samt dem Lamm zurück bis unter die Eibe und hielt sie dort fest. Es war die Frau in Grün. »Ruhig, Kindchen«, flüsterte sie. »Ganz ruhig.«
    Während Polder im Farn mit dem Fremden kämpfte, kniete die Frau die ganze Zeit hinter ihr, umschlang sie und das Lamm mit beiden Armen und hauchte ihr Worte ins Ohr, die wie ein Lied klangen - feierlich und unerhört schön -, und Katanjas wild in ihrer kleinen Brust galoppierendes Herz wurde ganz friedlich, ganz still, und ihr Atem strömte bald gleichmäßig und ohne jede Hast dahin.
    Irgendwann jaulte Polder laut auf, und kurz darauf hörte der wilde Kampf im Farn auf. Es raschelte, jemand stöhnte. Dann wankte der Fremde aus dem Farnfeld und sah sich um. Er blutete aus vielen Wunden am Hals, auf den Wangen und an den Händen: Biss- und Kratzwunden. Seine Arme schienen aus Stein zu sein, so schwerfällig wischte er die breite, blutige Klinge an seinem ledernen Hosenbein ab. Er hatte sechs Finger an jeder Hand.
    Polder ist tot, dachte Katanja. Seinen Namen wollte sie schreien, Tränen wollten ihr aus der Kehle in die Augen steigen, sich aus den starken Armen losreißen und zu ihm rennen wollte sie - doch der leise Gesang der Frau tröstete sie. Es muss so sein, raunte es aus den unbegreiflichen Worten ihres Liedes, es ist gut so, wie es ist...
    Zwei weitere Männer tauchten hinter dem blutenden Fremden auf, auch sie sonnenverbrannt und schwarzhaarig. Einer war riesengroß und dick, und eine Nase, die einem narbigen Geschwür glich, verunstaltete sein Gesicht. Der Verletzte drehte sich nach ihnen um. »Sie ist nicht mehr hier«, sagte er atemlos. Aus irgendeinem Grund verstand Katanja nun jedes Wort. »Sie muss auf der anderen Seite der Ruine in den Wald gerannt sein!« Er deutete auf die Eibe, und Katanja kam es vor, als deutete er auf sie.
    »Blödsinn!«, blaffte der Riese. »Dort lagen wir doch auf der Lauer. Wir hätten sie gesehen!« Der Gesang an Katanjas Ohr verscheuchte ihre aufbrandende Angst.
    »Dann muss sie noch hier in der Ruine sein«, sagte der dritte Fremde.
    Die Männer begannen zu suchen. Sie durchkämmten das Farnfeld, das hohe Gras und das Gestrüpp am Gemäuer, sie bogen die Büsche zwischen den Birken zur Seite, sie spähten in ihre Kronen hinauf und stocherten mit ihren breiten Klingen in zugewucherten Mauernischen der Ruine herum, ja sogar in einem Erdloch, das nicht weit von Katanjas Versteck im Wurzelgeflecht der Eibe in einen verlassenen Dachsbau führte. Schließlich krochen die beiden kleineren unter die Eibe, spähten hinter jedes Grasbüschel, blickten auch zu Katanja, dem Lamm und der Frau - und es war, als würden sie durch alle drei hindurchblicken.
    Die ganze Zeit schmiegte Katanja sich in Sentuyas Arme, die ganze Zeit lauschte sie ihrem Atem, ihrer singenden Stimme. Ganz ruhig fühlte sie sich, ganz friedlich und geborgen, wie sonst nur in den Armen ihres Vaters oder unter der Stimme ihrer Mutter, wenn sie ihr abends übers Haar strich und Gutenachtlieder sang. Sie sorgte sich nicht einmal darum, dass die Männer auf den wunderschönen Gesang der Frau aufmerksam werden könnten.
    »Verschwunden!« Der mit den sechs Fingern an der Linken stieß einen Fluch aus. Tatsächlich: Sie hörten die Wunderstimme nicht. Geschieht ihnen recht, dachte Katanja. »Miststück!« Der verletzte Mann fluchte bitter. »Wie vom Waldboden verschluckt, das kleine Miststück!«
    »Suchen wir die Umgebung der Ruine nach Spuren des Mädchens ab«, schlug der Große vor. »Wenigstens einen dieser Maulwürfe müssen wir kriegen!« Sie stapften in den Farn. »Wir dürfen nicht mit leeren Händen zurückkommen!« Sie verschwanden im Unterholz.
    Kurz darauf hörte Katanja Canidengebell und den klirrenden Lärm

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