Die Tochter Der Goldzeit
welchem Feindeslager, denn der Name des nächtlichen Besuchers fiel ihm ein: Waller Rosch.
»Er will mir den Mörder ausliefern, den ich suche.« Torya lächelte böse. »Der Narr glaubt, ich würde ihm dafür die Hexe aus Altbergen verschonen.« Sie griff nach seiner Hand. »Wir werden siegen, Ginolu.« Ihre grünen Augen leuchteten wie Bergseen unter der Mittagssonne. »Maragostes war heute bei mir - beinahe hundert seiner Krieger wollen mit ihm das Joch des Zwergen und des Eisernen abschütteln. Der Goldzeitschatz ist schon fast in unserer Hand! Und du sollst mein Berater und Thronritter werden, wenn ich die Weltherrschaft antrete.«
»Welche Ehre ...« Bosco senkte den Blick, um eine Verneigung anzudeuten. »Danke.« Er stand auf und verließ fluchtartig das Zelt.
Drei Tage zog die Kolonne aus Wagen und Zugtieren durch den Schnee nach Osten, drei Nächte verbrachten sie in den Hügeln vor dem Gebirge. Die Berge wuchsen an Höhe und Länge, je näher der große Tross heranrückte. Und der kam schnell voran, denn es schneite nicht mehr und die Schneedecke war gefroren. Bosco arbeitete halbe Nächte an dem Gift. In der vierten Nacht füllte er es in zwei Flaschen ab. Mit ihnen in den Manteltaschen betrat er im Morgengrauen das Lager der Südländer und Jusarikaner. Dort packte man bereits Gerät, Vogelkäfige und die ersten Zelte auf die Wagen. Bosco wusste, dass die Möwen und Graukolks immer bei Sonnenaufgang, kurz vor der Weiterfahrt, gefüttert wurden.
Nadolphers Zelt stand noch. Bosco ließ sich bei ihm melden. Der Zwerg saß auf dem Boden und aß. Er setzte seine Augengläser auf und sah ihn an. »Was willst du, Ginolu?«
»Ich bitte dich um den Spruch Dashirins an Alphatar«, sagte Bosco. »Mein Band ist in den Schneematsch gefallen und unbrauchbar geworden.«
Misstrauisch betrachtete Nadolpher seinen morgendlichen Gast. Endlich langte er hinter sich und griff zu einem Stapel in Leder gebundener Bücher. »Es ist einer von den neuen Drucken, die wir bei den beiden Boten Dashirins gefunden haben.« Er reichte ihm das Buch. »Und nun sag mir, was du wirklich willst.«
»Ich hasse Krieg und Blutvergießen.«
»Kein denkender Mensch, der nicht beides hasst.«
»Es wird aber dazu kommen, wenn du nicht sehr wachsam bist, Kommander.«
Nadolphers Fischaugen zuckten hin und her. Er stand auf und trat nahe an Bosco heran. Einen Kopf kleiner noch als der Einäugige aus Tikanum war er. »Was hast du mir zu sagen, Ginolu von Apenya? Sprich. Es wird unter uns bleiben.«
»Ich sah einen nächtlichen Boten aus dem Zelt der Königin kommen, Kommander. Sie sagte, es sei ein Bote aus dem Lager des Feindes gewesen.«
»Ein Südländer?« Die hohe Stimme des Kommanders überschlug sich vor Erregung.
»Dazu war er zu groß.« Bosco zuckte mit den Schultern. »Er trug einen schwarzen Fellmantel mit Kapuze, ich sah sein Gesicht nicht.«
»Ein Wildsaujäger ...« Der Zwerg nickte grimmig. Seine Augengläser beschlugen. »Danke, Ginolu. Ich werde an dich denken, wenn alles vorbei ist. Treue Diener Dashirins wie du sollen mit uns herrschen.«
Bosco verließ das Zelt. Das Herz schlug ihm und er musste tief durchatmen. Auf dem Weg zurück ins Lager der Albriden ging er dicht an der Wagenkolonne vorbei. Vor den Käfigwagen mit den Vögeln standen schon die Ledereimer mit ihrem Futter im Schnee -Fleischabfälle, zerkleinerte Wurzeln und Früchte. Vier Käfigwagen mit jeweils hundert Möwen oder Graukolks waren es noch und vier Eimer mit Futter. In jeden leerte Bosco eine halbe Flasche seines Giftes. Er tat es verborgen hinter der Knopfleiste seines langen Federmantels.
Als die Wagen mit den Volieren hinter ihm lagen, blieb er stehen und sah sich noch einmal um. Ein Jusarikaner leerte die Eimer in die Käfige, ein Schwarzmantel. Krächzend und schreiend stürzten die Möwen und Graukolks sich auf das Futter. Bosco drehte sich um und wollte weitergehen. Eine Frau stand vor ihm. Er lächelte ihr ins Gesicht, obwohl ihm vor Schreck der Atem stockte. Hatte sie ihn beobachtet? »Einen gesegneten Tag wünsche ich dir, Weib!«
Er wollte an ihr vorbeigehen, doch sie hielt ihn fest. Es war die Frau mit den silbergrauen langen Haaren, die ihm schon auf der Etlantyca wie zufällig über den Weg gestolpert war.
Jetzt fiel ihm auf, dass sie nicht die Kleider einer Südländerin, sondern einer Jusarikanerin trug. Zugleich aber hatte sie runde, weibliche Formen und war nicht annähernd so klein und dürr wie die Frauen der Fremden aus
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