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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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konnte. Doch eine ganze Woche verging noch, bis sein Ziehvater ihn wieder zum Unterricht rief.
    In seinem Studierzimmer erwartete er ihn. Jacub ließ sich auf dem Fell neben dem Kamin nieder, auf dem er während der Lernzeit auch sonst immer saß. Er blätterte in seiner Schreibkladde herum und versuchte, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.
    Der Druide lehnte gegen sein schweres Stehpult. Kisten, Krüge, Tafeln, Regale, Musikinstrumente und zwei große Tische voller Papierrollen, getrockneter Pflanzen, Knochen, Pinsel, Farbtöpfe und Schreibinstrumente umgaben ihn. Eine Zeitlang beobachtete er Jacub schweigend, bis er sich irgendwann räusperte. »Die Tiere, die ihr getötet habt, haben mich ein Schwein, ein Schaf und vier Schreivögel gekostet«, begann er. »Wie willst du den Schaden gutmachen?«
    Jacub blickte in das kantige, sonnenverbrannte Gesicht seines Ziehvaters. Es war ein hartes Gesicht, und ein strenger, unerbittlicher Zug beherrschte es. Doch in seinen grauen Augen entdeckte er wieder diesen Ausdruck von Wertschätzung und Wohlwollen, mit dem sie ihn vom ersten Tag an angeschaut hatten.
    »Wenn der Sommer vorbei ist, gleich nach der Ernte, werde ich über das Gebirge ins Grasland hinunterziehen. Ich werde Dachse jagen. Ihre Felle werde ich gegen Granitsteine eintauschen. Davon baue ich einen neuen Backofen.«
    Der Druide zuckte nicht einmal mit den Brauen. »Gut«, sagte er nur, senkte den Blick und öffnete die Truhe mit seinen Büchern auf dem Tisch neben dem Stehpult. »Dann machen wir dort weiter, wo wir vor zwei Monden aufgehört haben, beim Hauptdialekt der Festlandvölker.« Er holte einen in Leder eingeschlagenen Papierstapel aus der Truhe. »Zuvor aber lese ich einen Abschnitt aus den Lehren Dashirins vor.«
    Er räusperte sich, legte das Buch vor sich auf das Stehpult, klappte den Lederdeckel auf und teilte den zerfledderten Papierstapel an einer Stelle, an der eine Falkenfeder aus ihm ragte. »Höre die Worte Dashirins an Alphatar aus dem fünfundzwanzigsten Kapitel des Heiligen Buches.« Roscar von Eyrun begann zu lesen: »Narren richten jedes Haus und jedes Reich zugrunde, in dem keine strenge Hand straft und regiert. Vermessene blasen sich auf, wo kein Richter ihnen das Maul stopft und kein Gesetz ihnen Gehorsam gebietet. Darum spricht der Höchste: Gehorche dem, der Haus und Hof lenkt, achte das Gebot dessen, der das Reich regiert, und gehorche dem Gesetz Dashirins, damit du in Frieden lebst und in Gerechtigkeit alt wirst.«
    Jacub steckte die Rechte in die Hosentasche und ballte die Faust.

Kapitel 14
    Die Uferlinie war längst nicht mehr zu erkennen. Jetzt trieb ihnen ein starker Westwind auch noch Nebel entgegen. Wo eben noch eine weiße Wüste sich endlos nach allen Seiten auszudehnen schien, wallten jetzt dichte Nebelschwaden über das Eis. Bald konnte Grittana nicht einmal mehr die Umrisse der Jäger und Waldläufer erkennen. Der Katafrakt hielt sich dicht vor dem Gespann. Wenigstens er war noch deutlich zu sehen.
    Der Schnee knirschte unter den Schlittenkufen und den Hufen der Böcke. Mehrstimmiger Gesang tönte aus dem Nebel. Grittana lauschte - der große Winterchoral. Wie schön! Die Männer und Frauen hatten ihn angestimmt, um sich an den Stimmen der anderen zu orientieren und so einander nicht zu verlieren. Auch Tondobar fing an zu singen. Auf Anhieb traf er den Ton der Tenorstimmen. Hinten, auf dem Frachtschlitten, krächzten die Kolks in den mit Fellen verhüllten Käfigen. Manchmal krachte es tief im Eis. Anfangs hatte das Geräusch der Meisterin noch ein Frösteln in die Glieder gejagt, inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Die feuchte Luft schlug sich auf ihren Decken und ihrem weißen Pelzmantel nieder und verwandelte sich sofort in Raureif.
    Ohne seinen Gesang zu unterbrechen, deutete Tondobar mit einer Kopfbewegung in Fahrtrichtung. Dort schälten sich nach und nach Umrisse von Bugspitzen, Dächern, Masten, Palisaden und Türmchen aus den Nebelschwaden. Wie ein kleines, in die Höhe gebautes Dorf sah das Gebilde aus, dem der Schlitten sich näherte, wie eine planlos nach allen Seiten wuchernde Festung, halb aus Holz, halb aus Eisen gebaut.
    Es war beides und zugleich doch keines von beidem - eine Ansammlung ineinander verkeilter und miteinander vertäuter Schiffe, Flöße und Kähne ragte dort, höchstens hundert Schritte entfernt, aus dem Eis. Bis ins vergangene Jahrhundert hinein war diese bizarre, im Seegrund verankerte Flotte besiedelt gewesen. Und jetzt

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