Die Tochter Der Goldzeit
Messer begann er im Honig herumzustochern. »Sie hat doch einen Auftrag, es hängt doch die Zukunft der Welt an ihr!« Er blinzelte zu ihr hinauf. »Und vor allem die Zukunft der Anderen Welt.« Seelenruhig drehte der Gnom die Klinge im Topf und steckte sich einen Klumpen Honig in den Mund.
»Es sind Tiere«, flüsterte Katanja. »Im Sklavenschiff musste ich sie kennenlernen, auf dem Weg hierher. Weißt du denn, was sie mir angetan haben?« Sie deutete auf die leere Pritsche neben sich. »Sie haben die Frau von der Westküste zu Tode gequält ...« Katanja warf sich herum und vergrub das Gesicht im Strohsack.
»Armes Täubchen.« Der Gnom schmatzte. »Armer Sakrydor. Er könnte beleidigt sein, weil sie sich aus dem Staub machen will. Hat er ihr denn nicht gesagt, dass noch nichts verloren ist? Glaubt sie ihm denn nicht?«
»Hast du je versucht, mich hier rauszuholen?«, schluchzte sie. »Niemals werde ich die Lichterburg finden .«
»Ungeduldiges Täubchen!« Wieder bohrte er Honig mit der Klinge aus dem Topf. »Ungeduldig wie alle Flüchtigen.« Genießerisch schloss er die rötlichen Augen und steckte den nächsten Honigbrocken in den Mund.
»Ein Stück Vieh bin ich für diese Kerle, und so werden sie mich auch behandeln.« Katanja stemmte sich hoch. »Doch sie kriegen mich nicht. Niemand kann mich daran hindern, den einzigen Fluchtweg zu nehmen, der mir bleibt.« Sie streckte die Rechte aus. »Gib mir das Messer.«
Der Gnom leckte die Klinge ab. Seine Zunge war blau und ungeheuer groß. Er steckte das Messer unter seinen schmutzig-grauen Lederumhang und nahm den Honigtopf auf die Knie. Mit dem spindeldürren Zeigfinger der Rechten bohrte er sich den nächsten Brocken der klebrigen Masse heraus und deutete damit auf Katanja. »Bald wird einer das Täubchen holen und wegbringen von hier.«
»Wann?« Katanja setzte sich auf.
»Wenn der Schnee wieder fällt.« Der Gnom steckte den Finger mit dem Honig in den Mund.
»Im Winter hält doch der Händler keinen Sklavenmarkt ab.«
»Sakrydor braucht keinen Händler und keine Jahreszeit, um zu tun, was er will.«
»Und dann?«
»Dann muss sie Geduld haben.« Der Gnom schmatzte genüsslich.
»Wie lange?« Ihre Augen hingen an seinen schwarzen Lippen.
Sie begriff selbst nicht, warum sie jedes seiner Worte so begierig aufsog.
»Bis die Zeit reif ist.« Er öffnete den breiten Mund, um den nächsten Brocken Honig darin verschwinden zu lassen, diesmal einen besonders großen.
»Aber wann ist die Zeit endlich reif?«
Einer der Wächter vor der Gittertür spähte ins Gewölbe hinein. Katanja streckte sich auf der Pritsche aus und machte sich so klein wie möglich. »Ruhe da drin!«, rief der Wächter. »Sonst hole ich euch raus!«
Kurz darauf klapperten die Würfel wieder über den Steinboden.
Der verwachsene Greis ließ sich Zeit mit der Antwort. Aus rötlichen Augen musterte er die junge Frau, während er schmatzend den Honig kaute. »Die Zeit ist reif, wenn der Rote im Tor des Winters steht«, sagte er endlich. Seine verwitterte Miene wirkte auf einmal seltsam ernst. »Doch das kann noch dauern ...«
»Wenn der Rote im Tor des Winters steht ...« Katanja drehte den Kopf zur Seite und betrachtete den Uralten aus schmalen Augen. Schon den halben Honigtopf hatte er geleert. »Was wird dann geschehen?«
»Schrecklich ungeduldiges Täubchen! Muss sie denn immer Fragen stellen? Kann sie nicht einfach abwarten?« Er leckte sich beide Finger ab. »Schenkt sie mir den Honig?«
»Was wird geschehen, wenn der Rote im Tor des Winters steht, sag es mir!«
Seine rötlichen Augen ruhten eine Weile auf ihr. Er schien in Gedanken versunken. »Ein Geleitschutz wird kommen, starke Kerle. Sie werden das Täubchen nach Norden und danach ein kleines Stück Wegs zur Lichterburg führen. Allein kommt es ja nicht weit.«
»Ein kleines Stück Wegs?« Katanja belauerte den Gnom. In seinen roten Augen brannte etwas, das ihr Angst machte. »Und dann? Und die letzte Wegstrecke bis zur Lichterburg?«
»Wer weiß das schon?« Er zuckte mit den Schultern. Die spöttische Heiterkeit kehrte auf seine verwitterte Miene zurück. »Das Täubchen muss warten lernen. Warten. Und keine Dummheiten zu machen . Schenkt sie mir den Honig?«
Katanja wandte den Kopf und starrte in die Dunkelheit unter der Gewölbedecke. Das greise Gesicht der Meisterin stand ihr auf einmal vor Augen. War nicht auch Grittana in Gefangenschaft geraten, als man sie in jungen Jahren über das Hochgebirge nach Tikanum
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