Die Tochter Der Goldzeit
Abend wagten sie die Rückkehr nach Tikanum. Die Meisterin berichtete dem Ältestenrat von der gescheiterten Mission.
»Mit Katafrakten an Tarsinas Seite wäre das nicht passiert«, sagte Boscos Vater. Sonst sagte keiner der Ältesten etwas.
Der Winter brach früher ein, als man es im Hügelland von Apenya erwarten konnte; und er brachte mehr Schnee und eisigere Temperaturen als sonst. Wenigstens rückten die Jusarikaner und ihre Barbaren nicht weiter vor. Tarsina aber fiel in ein dumpfes Brüten. Die Zeitfuge verschlossen und von Schwarztrollschlingern bewacht zu wissen, erschütterte sie bis ins Mark. Über Wochen sprach sie nur noch das Nötigste.
Im letzten Mond des Jahres gebar Valena eine Tochter. Sie nannte das kleine Mädchen Ginalunis. Sie dachte an ihre und Boscos Mutter, als sie der Meisterin den Namen nannte; die hatte Ginaluna geheißen.
Kapitel 11
Am letzten Abend des Jahres holten drei Wächter die blonde Frau von der Westküste aus dem Verlies. Bis zur Morgendämmerung tobten sie sich an ihr aus. Niemand im Sklavenkeller schlief in dieser Nacht, alle hörten ihre Schreie. Auch Katanja. In dieser Nacht verlor sie die Hoffnung, die Lichterburg jemals erreichen zu können.
Die Frau von der Westküste war eine Andere geworden, als die Wärter sie am Morgen zurück in den Sklavenkeller trugen. Katanja und die schwarze Frau wuschen sie, verbanden ihre Wunden, hielten ihre Hand und wichen nicht von ihrer Seite. Von diesem Tag an sprach die von der Westküste kein Wort mehr. Sie wurde sehr krank.
Der Sklavenhändler ließ deshalb die Wächter zu sich kommen und verprügelte sie in einem Wutanfall; sie hatten seine Ware beschädigt. Katanja hörte ihn über dem Sklavenkeller herumtoben und brüllen. Danach hatten die gefangenen Frauen eine Zeitlang Ruhe.
Bis zum Ende des ersten Mondes im neuen Jahr. Dann holten die Wächter die schwarze Frau. Sie hörte man nicht schreien. Dennoch schlief auch in dieser Nacht niemand im Sklavenkeller. Katanja sowieso nicht. Aus der Stille gellten ihr die eigenen Schreie entgegen, aus der Dunkelheit sprangen sie Bilder von Gewalt und Erniedrigung an, die sie selbst erlebt hatte: auf dem Schiff der Sklavenjäger, auf der Fahrt zur Festung des Sklavenhändlers.
In dieser Nacht gab Katanja endgültig auf.
Gegen Morgen brachten sie die Schwarze zurück. Katanja kniete neben ihrer Pritsche und hielt ihre Hand. Als es hell wurde, trat die Heilerin in den Kerkerkeller. Sie brachte Katanja frischen Honig; man gab ihn ihr, damit sie schneller zu Kräften kam und beim Frühjahrsmarkt einen höheren Preis erzielte. Danach kümmerte sich die Heilerin um die schwerkranke Frau von der Westküste. Aus ihrem Verbandskorb ragte der Kupfergriff eines Messers. Als sie die Kranke anhob, um ihr Medizin einzuflößen, griff Katanja zu. Sie versteckte die Klinge unter ihrem Kissen.
Am Abend starb die Frau von der Westküste. Katanja drückte ihr die Augen zu. Den Zeitpunkt für ihren eigenen Tod hatte sie schon festgelegt: In dieser Nacht noch würde sie es tun.
Lange lag sie wach, wartete, bis alle schliefen. Gejammer und Getuschel verstummten nach und nach, Atemgeräusche erfüllten den Gewölbekeller, Schnarchen und Seufzen. Vor der Gittertür fluchten die Wächter und ließen ihre Würfel klappern. Katanja schloss die Augen. Sie dachte an Grittana und stellte sich deren Enttäuschung vor, wenn sie einst erfuhr, dass der Goldzeitschatz an den Eisernen verloren gegangen, dass ihre beste Schülerin gescheitert war .
»Komm zu mir«, flüsterte Janner plötzlich, »ich warte auf dich.« Katanja fuhr aus dem unruhigen Schlaf hoch, in den sie gegen ihren Willen gefallen war. Ihr Herz klopfte wie in großer Angst. Sie griff zwischen Strohsack und Pritsche, wo sie das schmale Messer mit dem Kupfergriff versteckt hatte. Es war verschwunden!
Ein verwachsener Greis in schmutzig-grauem Lederzeug hockte am Boden neben ihrer Pritsche. Sein langes Haar war weiß. Zwischen den angezogenen Knien hielt er ihren kleinen Honigtopf. Er musterte sie aufmerksam. »Hat sie von Janner geträumt?« Seine Augen funkelten rötlich, sein Gesicht war knochig und wie aus altem, schwarz gemasertem Eichenholz geschnitzt. »Oder etwa von dem Ding hier?« Der Bucklige hob die schmale Klinge mit dem Kupfergriff, Honig klebte an ihr. »Es will sich wehtun, das Täubchen? Will sich einfach aus dem Staub machen?« Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Das darf sie doch nicht.« Sein Blick ließ Katanja los, mit dem
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