Die Tochter Der Goldzeit
Eisernen nicht in die Arme zu laufen, nutzten sie unwegsame Pfade und zweimal auch einen unterirdischen Tunnel. So erreichten sie tatsächlich erst lange nach Mitternacht den getarnten Pfad, der nach Pugium hinein führte. Der Vollmond war gerade aufgegangen. Sein mildes Licht sickerte durch das Laubdach des Herbstwaldes. Bei den ersten Mauerresten der Ruinenstadt wartete ein Jäger der Vorhut. Seine drei Gefährten waren schon bis zur Lichtung mit dem alten Brunnen vorgedrungen und spähten dort die Umgebung der Zeitfuge aus. Der Zurückgebliebene bedeutete Tiban und Bosco mit einer Geste, dass keine Gefahr drohte. Hinter ihm her schlichen sie ins Zentrum der alten Ruinenstadt. Die vier Jäger der Nachhut blieben zurück, um den Rückweg zu sichern. Leichter Nebel zog auf.
Tief gebückt pirschten sie sich hinter Gestein und Gestrüpp voran, Schritt für Schritt. Bosco schlich hinter Tiban und dem Jäger der Vorhut, Tarsina hielt sich dicht hinter ihm. Manchmal spürte er ihren Atem im Nacken, manchmal berührte sie seinen Arm oder seine Schulter, als wollte sie sich vergewissern, dass er noch bei ihr war. Honnis, hinter ihr, hörte er nicht. Zwischen den Büschen und Bäumen rechts und links des Pfades wuchsen die Silhouetten der Mauerreste, je näher der alte Brunnenplatz und die Zeitfuge rückten. Wie zerklüftete Axtklingen ragten sie auf, und plötzlich verstand Bosco die Furcht der Barbaren vor dem nächtlichen Wald.
Kein Wind ging, und merkwürdig: Hatte nicht eben noch der Mond in den Wald geschienen? Nicht einmal einen Stern sah man jetzt noch glitzern. Bosco fröstelte. Von hinten fasste die Meisterin ihn bei der Schulter. Er ging in die Hocke und drehte sich nach ihr um. Was ist?, wollte er flüstern, doch sie legte ihm den Finger auf die Lippen. Ihre Züge konnte er nicht unterscheiden, aber dass sie den Kopf auf die Schulter neigte, das sah er. Es schien ihm, als hätte sie die Augen geschlossen. Honnis, hinter ihr, war nur ein Schatten. Der Nebel wurde dichter.
Mit seinem inneren Augenohr tastete Bosco sich in die Aura der Meisterin hinein. Angst und Anspannung spürte er. Bis zu diesem Moment war er zuversichtlich gewesen, doch jetzt überfiel ihn Unruhe. Er spähte in Nebel und Dunkelheit, er spähte nach allen Seiten. Nirgendwo Anzeichen einer Bedrohung, doch überall die Ahnung von Gefahr.
Tarsina beugte den Kopf an sein Ohr. »Hörst du das auch?«, flüsterte sie.
Bosco lauschte. Und tatsächlich: Etwas wie ein Röcheln drang aus dem Nebel vor ihnen. Er nickte.
Auch Tiban und der Jäger an der Spitze verharrten reglos auf dem Pfad und blickten zurück; bis die Meisterin ihnen mit knapper Geste bedeutete weiterzugehen. Bosco richtete sich auf, schlich voran, folgte Tiban. Ihm war nicht wohl in seiner Haut, wahrhaftig nicht.
Dann riss der Nebel auf. Bosco sah die Umrisse eines Turms aus mächtigen Wipfeln ragen - sie hatten den Rand des Brunnenplatzes erreicht. Die rätselhaften Laute waren jetzt deutlicher zu hören. Sie klangen nun eher wie ein schmatzendes Schnarchen als wie ein Röcheln. Schlief da jemand auf dem Brunnenplatz bei der Zeitfuge? Tiban und der Jäger kauerten schon ein Dutzend Schritte weiter hinter einem kniehohen Mauerrest. Bosco ergriff Tarsinas Hand und zog die Meisterin mit sich. Er erschrak, als er merkte, dass sie nur widerstrebend folgte. Sah sie mehr als er? Spürte sie mehr?
Jetzt erkannte er die Umrisse der wilden Feigenbäume am Rand des Platzes und dazwischen die Ruinen von Säulen und Steinbogen. Auf einmal fiel ihm auf, dass dahinter eine Nebelwand aufragte. Konnte das sein? Sein lauernder Blick wanderte am Rand des Brunnenplatzes entlang: tatsächlich! Es sah aus, als würde der Nebel sich um ihn herum stauen. Den alten Platz selbst dagegen beschien ein unwirkliches, irgendwie schmutziges Licht. Dessen Quelle blieb Bosco ein Rätsel. Das Mondlicht jedenfalls war es nicht, denn eine Nebeldecke waberte etwa zwanzig Meter hoch über dem Brunnenplatz und verhüllte Mond und Sterne. Entstieg denn das unheimliche Licht der Brunnenfassung in der Mitte des Platzes? Von dort hörte man Schmatzen und Schnarchen. Die abgebrochenen Säulen zu beiden Seiten des Brunnens warfen scharfe Schatten, der Oleander dahinter schien zu dampfen und zu zittern; etwas bewegte sich am Brunnenrand. Und was hing dort an den Säulen? Bosco tastete nach seinem Binocular.
Plötzlich legte Tarsina ihre Hand auf seinen Arm. »Gehen wir«, flüsterte sie.
Bosco sah sie erschrocken an. Das
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