Die Tochter Der Goldzeit
Schreibbuch, tunkte eine Schwanenfeder in ihre gläserne Tintenamphore und begann einen Brief zu schreiben. Der dritte Brief an die Sozietät, seit sie aufgebrochen war. Nie hatte ein Kolk eine Antwort gebracht. Doch dafür gab es so viele Erklärungen. Meine Lieben, schrieb Katanja, Frieden Euch und Frieden allen, die Frieden bringen und Frieden halten. Der Sommer geht zu Ende, der vierte, seit ich Euch verließ ...
Ein Luftzug streifte sie, ein Schatten glitt über sie hinweg. Sie ließ die Feder sinken und blickte auf. Ein Kolk drehte eine Schleife über dem Haupthaus und landete auf der Brüstung. Der Blaue. Er plusterte sein Brustgefieder auf und schnarrte heiser. Was hatte er gesehen? Kehrten der Hauptmann und seine Jäger schon zurück?
Sie stand auf, öffnete das Tor, das die Veranda des Haupthauses vor den Blicken aus den Nachbarhütten schützte, und huschte über die Planken des Hauptsteges. Einer der Palisadenwächter trat aus dem Wachhaus neben dem Haupttor und beobachtete sie. Der Blaue landete auf ihrer Schulter. Am anderen Ende der Pfahlhüttensiedlung blieb sie an der Anlegestelle beim Bootshaus stehen. Der schiefergraue Merkur hockte auf dessen Dach.
Wie ein Stück Altbergen waren die letzten beiden Kolks für Katanja. Merkur konnte sie selten betrachten, ohne an Weronius zu denken. Während ihrer Gefangenschaft hatten noch vier Vögel in der Nähe der Festung des Sklavenhändlers genistet; es war, als hätten sie auf ihre Herrin gewartet.
Katanja spähte stromaufwärts. Das Bild des sinkenden Mondes zitterte im Wasser. Der Wald am anderen Ufer verschwamm mit den aufziehenden Wolken. Katanja fröstelte und zog die Kapuze über ihren Kopf. Sie blickte ins hingestreute Licht auf der Mitte des Stroms und lauschte. Der Wind wehte Stimmen aus dem Flusswald am gegenüberliegenden Ufer herüber.
Vor der Palisade auf dem Kochplatz schichteten die Wachen Holz für das morgendliche Feuer auf. Die Männer belauerten sie, wie immer, wenn sie sich allein in der Nähe der Boote aufhielt.
Kurz nachdem die sechste Stunde angebrochen war, lösten sich plötzlich die Umrisse eines Schiffes aus dem Dunst über dem Strom - der Einmaster des Hauptmanns. An seinem Bug flackerte eine Öllampe. Katanja erkannte den kantigen Schädel und die kräftige Gestalt des Hauptmanns. Auch den Fremden sah sie - er hockte zwischen den vorderen Ruderbänken. Sie hatten ihm die Beine an die Ruderbank und die Hände auf den Rücken gefesselt.
Als das Schiff anlegte, liefen ein paar Frauen und Halbwüchsige zusammen. Einige hatten Fackeln dabei. Der Hauptmann stieg als Erster auf den Steg. Nach allen Seiten grüßte er. Als sein Blick dem Katanjas begegnete, wurden seine Züge seltsam weich. Seine Männer schafften Waren und Beute den Steg hinauf. Zuletzt zerrten sie den Gefangenen vom Boot und stießen ihn auf die Planken. Frauen traten näher und hoben ihre Fackeln.
Der Blaue, neugierig wie immer, hüpfte von der Brüstung und landete vor dem Fremden auf dem Steg. Krächzend tippelte er um ihn herum. Der Mann spuckte nach ihm. Der Kolk schimpfte laut und flatterte auf die linke Schulter seiner Herrin. Der Gefangene fluchte ihm hinterher, bis die Jäger ihn traten und er sich krümmte.
Es war ein Tiefländer, Katanja sah es sofort: Seine wilde Mähne war verfilzt und gelb-schwarz gefärbt, seine Arme und Beine waren mit gelben und schwarzen Ornamenten bedeckt. Die Kleidung bestand aus Fell- und Lederflicken. Er trug eiserne Ohr- und Nasenringe. Dunkler Flaum bedeckte Kinn und Oberlippe - der Mann war jünger als sie selbst. Achtzehn Winter, schätzte Katanja, höchstens.
Er blutete aus klaffenden Wunden am Hals und über dem Ohr. Katanja ging vor ihm in die Hocke. Den stark blutenden Schnitt am Hals würde sie nähen müssen, die verschmutzte Verletzung neben der Schläfe musste gereinigt werden. Außerdem brauchte er Weißbaumrindenextrakt, sonst würde er Wundfieber bekommen.
»Bringt heißes Wasser«, sagte sie zu den Frauen.
Aus wässrigen blauen Augen blickte der Gefangene zu ihr herauf.
Katanja wandte sich an den Hauptmann: »Wer ist das?«
»Ein dreckiger Späher der Tiefländer vom Stamm der Poruzzen«, sagte der Hauptmann. Auf seine knappe Geste hin packten die Jäger den Verletzten und schleppten ihn weg. »Du brauchst seine Wunden nicht zu versorgen.« Der Hauptmann machte ein grimmiges Gesicht. »Er wird sowieso sterben.«
»Aber nicht an Blutverlust oder Wundfieber«, entgegnete Katanja. »Dafür zu sorgen ist
Weitere Kostenlose Bücher