Die Tochter Der Goldzeit
Krieger des Eisernen keine mehr, vielleicht schätzten sie auch die gewaltige Stärke der Tore richtig ein. Was sie aber statt verbotener Waffen einsetzten, erschien den Bewohnern von Tikanum mit der Zeit weit entsetzlicher: Sie hängten einen Eichenstamm mit Ketten an ein hölzernes Traggerüst und schwangen den schweren Stamm gegen das Haupttor. Das rhythmische Donnern hallte bis in die untere Ebene herab, bis in die entlegensten Gänge vor dem südlichen Notfalltor. Immer, den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Manche in der Sozietät machten sich anfangs lustig über die »primitiven Barbaren« und die »Hohlköpfe aus Jusarika«, die glaubten, das uralte Tor aus Eisen und Stein mit einem lächerlichen Baumstamm aufbrechen zu können. Der Spott verging ihnen schnell.
Bald weinten die Kinder, blökten die Schafe, kläfften die Caniden in einem fort. Kaum einer schlief noch in der Sozietät, die Nerven aller lagen blank. Bis Tarsina und Valena Wachspfropfen kneten und verteilen ließen. Man hörte das rhythmische Donnern trotz des Wachses in den Ohren, nur klang es jetzt gedämpfter, wie lautes Klopfen. Man hörte es immer und überall. Aber wenigstens konnten die meisten Bewohner der Erdstadt dank der Wachspfropfen wieder schlafen.
Als dann der Winter begann, bauten die Krieger des Eisernen ein zweites Gerüst in der Höhle vor dem südlichen Notfalltor. Sie schleppten einen Buchenstamm hinunter, hängten ihn auf und begannen, auch das Südtor zu bearbeiten. Bald begriff auch der letzte Bewohner Tikanums, dass die Rammen nicht die Tore zerbrechen sollten - das würden sie niemals schaffen - sondern die Willenskraft und die Gemüter derer, die dahinter lebten.
Die Wintermonde über lebte die Sozietät von ihren Vorräten; niemand musste Hunger leiden. Doch ein Mangel an Nahrungsmitteln hätte die Belagerten nicht halb so gründlich zermürbt, wie es das ununterbrochene Klopfen, Krachen und Donnern vermochte. Davon jedenfalls war Bosco überzeugt. Er konnte bald keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Das östliche Notfalltor blieb der einzige Zugang in den Wald. Doch dort patrouillierten jetzt Tag und Nacht die Krieger des Eisernen, und nur die mutigsten Frauen und Männer Tikanums meldeten sich freiwillig als Späher. Nach der Schneeschmelze ging alle sieben Tage eine Spähertruppe hinauf; Bosco war jedes Mal mit dabei.
Was er draußen im Hügelwald sehen musste, raubte ihm den letzten Glauben an eine Zukunft Tikanums: Wahre Festungen hatten die Krieger des Eisernen auf den Rodungen vor dem Haupttor und dem Südtor errichtet - zwei Dörfer aus Blockhütten, Palisaden und Türmen. Er sah Viehweiden, Volieren, Stallungen und Vorratsbaracken. Ein Sägewerk kundschafteten Bosco und seine Gefährten aus, ein Schlachthaus, eine Schmiede und eine Schreinerei. Und Blockhütten mit vergitterten Fenstern entdeckten sie - Kerker für künftige Gefangene.
In einem auffällig großen Blockhaus sahen sie Schwarzmäntel ein und aus gehen. Rechts und links des Eingangs lagen die Mammut-caniden des Eisenriesen angekettet, in einem halb offenen Stall stand sein gewaltiger Stier. Später trat der Eiserne selbst aus dem Haus, neben ihm der Winzling mit den Augengläsern. Bosco entdeckte ihn erst auf den zweiten Blick. Er trug einen grauen Ganzkörperanzug mit roter Kappe und rotem Umhang. Auch sein grauer Ritter war bei ihm - der, den der Mann im Steinbruch einen »Kriegsmeister« und »Dämonen« genannt hatte. Sein Visier war geschlossen. Mit dem Zwerg stieg er auf einen Wagen. Ein Rinkudagespann zog das Gefährt in den Wald hinein.
Der Frühling kam. Bosco und Tiban bedrängten Tarsina und den Ältestenrat, den Ausbruch und die Flucht zu wagen. Einen waghalsigen Plan legten sie vor: Je zwanzig Jäger und sechs Katafrakte sollten das Haupt- und das Südtor öffnen, die Belagerer mit verbotenen Waffen angreifen und sich dann zurückziehen. Wenn die Krieger des Eisernen zurückschlugen, sollten sich die Jäger und Katafrakte in Seitengängen verbarrikadieren und die Tore mit verbotenen Waffen sprengen. Zur selben Zeit sollte die Hauptmacht der Sozietät in vier Gruppen durch das Osttor zum Gebirge fliehen.
Jeder wusste, dass kaum die Hälfte der Erdstadtbewohner einen solchen Ausbruch überleben würde. Keiner sprach darüber, denn niemand hatte einen besseren Plan. Tarsina und der Erste Wächter des Tores legten die erste Vollmondnacht des Frühsommers für die Flucht fest.
Der sechste Mond des neuen Jahres begann, es war der
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