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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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und mitspielten – in den Jahren ihres Zusammenlebens hatten sie wohl gelernt, sich blitzschnell auf jede noch so überraschende Situation einzustellen. Doch das Ausmaß an Verbitterung und Ärger, das jetzt Diego entgegenbrandete, befremdete sie dann doch. Die Stimmung beim Abendessen war eisig, keiner verschwendete ein Wort, einen Blick an ihn. Es war wohl nicht das erste Mal, dass er die Truppe in Schwierigkeiten gebracht hatte.
    Schließlich ergriff Diego selbst das Wort.
    «Ich kann mir denken, was für einen Zorn ihr auf mich habt. Die wunderbare Gelegenheit, vor dem Herzog zu spielen und womöglich gleich noch eine Einladung an seine Residenz – all das habe ich in den Sand gesetzt. Bitte glaubt mir, es tut mir unsagbar Leid.»
    Die anderen schwiegen hartnäckig.
    «Jetzt seht mich doch nicht so feindselig an. Schlagt mich, prügelt mich – nur sagt um Himmels willen was.»
    Kein Ton war zu hören. Diego schleuderte den Krückstock weg. «Es ist wohl das Beste, ich packe meine Sachen und verschwinde. Geht ohne mich nach Tübingen und Stuttgart, ich bitte euch. Und habt noch mal Dank dafür, dass ihr mich nicht verraten habt.»
    Da stellte sich ihm Sonntag in den Weg.
    «Du gehst nirgendwohin.» Das Gesicht des Prinzipals war hochrot vor Wut. «Ja, du hast alles verpatzt, und dafür würde ich dir liebend gern den Kopf abreißen. Aber leider sind wir von dir abhängig, das weißt du doch genau. In jedem unserer Stücke hast du eine tragende Rolle, in jeder Darbietung einen wichtigen Part – ohne dich könnten wir die nächsten Wochen überhaupt nichtauftreten, und damit wären wir am Ende.» Seine Stimme wurde gefährlich leise. «Wenn du jetzt gehst, machst du alles kaputt. Und dann bringe ich dich wirklich um.»
    «Und ihr», er wandte sich an die anderen, «ihr hockt hier nicht herum und glotzt wie die Mondkälber. Noch ist das kein Weltuntergang. Ich werde mit Marusch besprechen, wie es weitergeht. Schlaft wohl, bis morgen.»
    Dann stapfte er mit Marusch davon. Zum Erstaunen aller verschwanden sie in Salomes Zelt. Nur langsam löste sich die Anspannung, die Männer und Frauen, die noch ums Feuer hockten, begannen sich leise zu unterhalten. Um Diego, der an einem Baumstamm lehnte, kümmerte sich niemand mehr, und Marthe-Marie wurde jetzt erst bewusst, dass auch sie selbst allein saß. Ein ganzes Jahr lebte sie nun schon bei den Fahrenden, doch plötzlich fühlte sie sich so fremd wie in den ersten Tagen. Und ebenso einsam.
    Sie gab sich einen Ruck und räumte das Kochgeschirr zusammen, um es am Dorfbach zu waschen.
    «Warte, ich helfe dir.» Mettel erhob sich, nahm die restlichen Schüsseln und folgte ihr. Der Mond schien hell, am Himmel glitzerte ein dichter Sternenteppich. Es war schon Ende März, doch diese Nacht würde bitterkalt werden. Marthe-Maries Hände waren wie Eis, als sie das saubere Geschirr ineinander stapelte.
    «Glaubst du, es renkt sich wieder ein zwischen Diego und dem Prinzipal?»
    «Es muss.» Mettel rieb sich die Hände warm. «Die beiden sind wie Licht und Schatten – das eine geht nicht ohne das andere. Ich weiß auch nicht alles über unseren vermeintlichen Spanier, aber seine Vergangenheit scheint ihn immer wieder wie einen Fluch einzuholen.»
    Geistesabwesend trocknete Marthe-Marie ihren hölzernen Löffel an der Schürze ab. Wie oft hatte sie das schon über ihr eigenesSchicksal gedacht. «Was war das eigentlich heute für ein Schauspiel? Der Herzog kannte Diego doch ganz offensichtlich?»
    «Ich weiß nur, dass Diego vor vielen Jahren in Tübingen und in der herzoglichen Residenz in Stuttgart gelebt hat. Mehr kann ich dir nicht sagen. Weißt du, Diego ist wie ein Blatt im Wind. Er lässt sich hierhin und dorthin treiben, ohne auf die Richtung zu achten, und wundert sich dann, wenn er unter die Räder kommt. Mitleid musst du mit ihm keins haben. Er ist ja fast noch stolz auf seine seltsamen Abenteuer.»
    «Ich hab auch kein Mitleid mit ihm.» Marthe-Marie schüttelte heftig den Kopf. «Da ist noch etwas anderes, das ich dich fragen möchte. Wie lange muss jemand mit euch ziehen, bis er richtig zu euch gehört?»
    Mettel lachte. «Du sprichst von dir, nicht wahr? Du wirst niemals eine Gauklerin sein, wenn du das meinst. Aber glaub mir, alle hier schätzen und achten dich. Und du bist Maruschs Freundin. Für mich bist du auch so etwas wie eine Freundin, obwohl ich fast deine Mutter sein könnte.»
    Sie brachten die Töpfe zurück und gingen in den Wohnwagen, um nach den Kindern

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