Die Tochter der Hexe
strömten neugierige Kinder und Halbwüchsige herbei. Gutmütig gaben Valentin und Severin ihnen eine Probe ihrer akrobatischen Künste, als sich eine Gruppe Reiter auf prächtig geschmückten Pferden der Wiese näherte. Vorweg ritten, eskortiert von Bewaffneten, zwei Männer in edlen, doch schlichten Gewändern. Sie waren beide mittleren Alters, und die breitkrempigen Federhüte nach Art der Landsknechte verliehen ihnen ein beinahe verwegenes Aussehen. Auf ihren bärtigen Gesichtern, so konnte Marthe-Marie jetzt erkennen, lag ein freundliches Lächeln.
Da rief einer der Dorfburschen «Jesses noi, der Herzog!», und Diego neben ihr erstarrte zur Salzsäule.
Valentin und Severin unterbrachen ihre Kunststücke, Sonntag trat einen Schritt vor und verneigte sich tief: «Leonhard Sonntag und seine Compagnie, fürstliche Durchlaucht.» Die anderen taten es ihm nach: Die Frauen knicksten artig, die Burschen und Männer verbeugten sich.
Dann muss der andere Schickhardt sein, dachte Marthe-Marie und musterte aus dem Augenwinkel neugierig die beiden Männer. Das konnte kein Zufall sein, dass der Herzog bei seiner Landvermessung ausgerechnet auf sie getroffen war.
Der Herzog und sein Baumeister begrüßten Sonntag mit einem leutseligen Kopfnicken, die Spielleute und die Dorfkinder gaben ihre ehrfürchtige Haltung auf und entspannten sich. Was dann folgte, glich einer schlechten Komödie: Diego blieb krumm und gebückt stehen, als leide er an der Gicht. Tatsächlich hielt er nun sogar einen Krückstock in der Hand. Marthe-Marie wusste sofort, dass wieder einmal Ärger in der Luft lag und dass die Ursache in Diegos Vergangenheit zu finden war.
Der Herzog schob sich den Hut aus der hohen Stirn und stützte sich auf den Sattelknauf. «Ihr seid Gaukler, wie ich sehe. Macht nur weiter mit eurer Darbietung, wir freuen uns über ein wenig Abwechslung nach unserem weiten Ritt.»
Sein Begleiter nickte zustimmend. Valentin und Severin gaben ihr Bestes, um die hohen Gäste zufrieden zu stellen, wirbelten in Flickflack und Salto durch die Luft, schlugen nebeneinander Räder, Handstände und Flugrollen, als sei einer das Spiegelbild des andern, und das alles ohne einen einzigen Patzer.
«Wunderbar!» Der Herzog klatschte in die Hände, sein Gefolge desgleichen. «Ich hoffe doch, ihr gastiert in Tübingen? Mein Baumeister und ich werden auf Schloss Hohentübingen die nächsten Tage eine Rast einlegen.»
Sonntag nickte erfreut, doch bevor er etwas entgegnen konnte, fiel der Blick des Herzogs auf Diego.
«Euch kenne ich doch irgendwoher?»
Diego hob demütig den Blick.
«Su Alteza?»
«Ich könnte meinen, ich hätte Euch bei mir am Hofe gesehen. Seid Ihr Spanier?»
«Si, Su Alteza.»
Marthe-Marie sah zu Diego hinüber; er war totenbleich.
«Verzeiht, Euer Durchlaucht, wenn ich mich einmische», sagte Sonntag überraschend ruhig. «Don Diego spricht nur schlecht unsere Sprache, er ist erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Hinzukommt, dass er eben erst von einer schweren Krankheit genesen ist.»
«Don Diego also, nun gut.» Friedrich schien nicht vollkommen überzeugt, denn er heftete seinen durchdringenden Blick weiterhin auf Diego. «Dabei hätte ich schwören können – wie dem auch sei, wir würden uns freuen, bald noch mehr von eurer Kunst sehen zu dürfen.» Auf einen Wink hin reichte ihm einer seiner Begleiter Papier und Feder. «Ich werde euch ein Empfehlungsschreiben an die Tübinger Ehrbarkeit mitgeben. Im Obergeschoss des Kornhauses ist vor kurzem ein Theatersaal eingeweiht worden, für reisende Komödianten. Dort sollt ihr spielen.»
Er kratzte ein paar Zeilen auf das Papier, rollte es zusammen und überreichte es dem Prinzipal, der sich höflichst bedankte.
«Nun denn, so sehen wir uns also morgen oder übermorgen wieder.» Damit wendete er sein Pferd und verschwand mit seinen Begleitern in der einbrechenden Dämmerung.
Die Gruppe um Sonntag stand da, als hätte jeden Einzelnen der Schlag getroffen. Keiner sprach ein Wort, bis sich Sonntag zu den Kindern aus dem Dorf umdrehte. «Geht nach Hause. Die Vorstellung ist zu Ende.» Und zu den Spielleuten gewandt: «Schlagt euch Tübingen und Stuttgart aus dem Kopf.»
Dann ging er mit hängenden Schultern zu seinem Wagen. Diego eilte ihm nach. «Warte, Leo. Ich muss mich bedanken.»
Sonntag stieß ihn zurück. «Lass mich in Ruhe.»
Marthe-Marie wunderte sich längst nicht mehr, dass Sonntags Leute bei unvorhergesehenen Zwischenfällen wie diesem zusammenhielten
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