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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Wassernixe?», fragte sie.
    «Ich weiß nicht. Vielleicht nicht gerade an eine schöne Lau mit nackten Brüsten und Fischschwanz», grinste er, «aber doch an so etwas wie eine unsichtbare Macht, die wir uns nicht erklären können. Das, was wir mit unseren Augen sehen von der Welt, ist schließlich nur ein Bruchteil dessen, was existiert. Nimm diese Gegend hier: Rundum bewaldete Berge mit ein paar Felsspitzen. Doch unter der Oberfläche verbergen sich ungezählte Höhlen und Grotten mit endlosen dunklen Gängen, die in Säle hoch wie Kirchenschiffe münden und die noch nie ein Mensch betreten hat. Diese Säle schimmern in allen Farben des Regenbogens, in kristallenemBlau, in schwefligem Gelb und Grün, von den Decken tropfen steinerne Zapfen von der Länge ausgewachsener Männer, vom Boden wachsen Spieße aus nassem Stein. An anderen Stellen haben sich unterirdische Flusssysteme und riesige Seen gebildet, lauern unter einer zerbrechlichen Erdkruste gefährliche Erdspalten und Löcher, die sich bei unbedachtem Schritt auftun und einen für alle Zeiten vom Erdboden verschwinden lassen.»
    «Diese Dinge erfindest du, gib es zu. Genau wie die Sache mit dem Schachspiel.»
    «Aber nein, das sind Tatsachen.»
    Sie stieß ihn in die Seite. «Wie kannst du die Höhlen beschreiben, wenn noch nie ein Mensch sie betreten hat?»
    «Was bist du für eine Kleinkrämerin! Zumindest das allermeiste davon ist wahr. Frag nur die Einheimischen, wie oft in dieser Gegend Pilger oder Wanderer verschwinden. Du wirst dich wundern.»
    Verschwunden waren in den nächsten Tagen immer wieder einmal Mettel, Tilman und Niklas. Mettel blieb nie für lange Zeit weg, und wenn sie zurückkehrte, wölbte sich der Beutel über ihrer Schulter. Um die Jungen machte sich Marusch beim ersten Mal ernsthafte Sorgen, zumal sie Diegos Schilderungen über die Gefahren in dieser Gegend mit angehört hatte. Erst bei Anbruch der Dunkelheit tauchten die beiden im Lager auf. Zur Begrüßung setzte es eine Maulschelle.
    «Das ist also der Dank!» Trotzig schleuderte Tilman seiner Mutter ein Säckchen mit Münzen vor die Füße. «Der Dank dafür, dass wir Fremde zum Blautopf und zur Grotte führen.»
    Verblüfft sah Marusch ihn an. Dann nahm sie ihn in die Arme. «Das ist der Dank, mein Schatz.» Sie küsste ihn. «Die Maulschelle war dafür, dass ihr verschwunden seid, ohne Bescheid zu geben.»
    Nacheinander wurden die beiden Jungen von allen Frauen geherzt und geküsst, bis es ihnen zu viel wurde.
    Diego pfiff durch die Zähne. «Saubere Burschen seid ihr. Habt euch gedacht, was der kleine Bub kann, können wir auch.»
    «So ist es. Gerade jetzt, wo wegen des Schützenfests jeden Tag aufs Neue Fremde in die Stadt kommen.» Tilman hob das Geldsäckchen auf und überreichte es Mettel.
    «Niklas und ich haben beschlossen, dass Mettel das Geld gut gebrauchen kann, wo man Vater doch keinen Vorschuss gewährt hat.» Er sah verlegen zu Boden. «Wir möchten nicht, dass sie für unser Essen stehlen muss.»
    «Ach Kinder!» Mettel war sichtlich gerührt. «Stehlen dürft ihr das aber nicht nennen. Ich finde eben hin und wieder was.»
    Das Geschäft mit den Fremden schien gut zu laufen, und so dachte sich niemand etwas dabei, wenn sich fortan sogar Pökelfleisch in der abendlichen Suppe fand. Das sonnige Wetter hielt an, die meisten von ihnen lagen faul herum und genossen es, eine Woche lang dem lieben Gott den Tag zu stehlen. Bis auf Valentin und Severin, die herausgefunden hatten, wie hervorragend der neue Schimmel zum Kunstreiten taugte. Fortuna hatte nicht nur den wiegenden, gleichmäßigen Galopp, der für Akrobatik auf dem Pferderücken unabdingbar war, sondern ließ sich zudem durch nichts aus der Ruhe bringen. Wer den Müßiggang nicht genießen konnte, war Diego, den nichts mehr verdross, als ohne Aufgabe zu sein.
    «Lass uns ‹Romeo und Julia› einstudieren», bedrängte er Marthe-Marie. «Mit dir als Julia.»
    «Du weißt, dass Frauen in Schauspielen nicht auftreten dürfen. In den meisten Städten ist das jedenfalls so.»
    «Aber das ändert sich. Du wirst sehen, in ein paar Jahren wird es selbstverständlich sein, dass Frauen Frauenrollen spielen. Wir wären Vorreiter. Und dort, wo man uns den Auftritt verwehrt, spielen wir eben ein anderes Stück. Schund und Possen haben wir genügend im Repertoire. Bitte, Marthe-Marie.» Das Flehen in seinem Blick war nicht gespielt.
    «Ich denke darüber nach.»
    Doch sie ahnte bereits, wie sie sich entscheiden würde.
    Am

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