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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Schützenmeister aufsuchen und um einen Vorschuss bitten.»
    Stadt und Klosteranlage präsentierten sich dem Besucher mit jeweils einer eigenen mächtigen Mauer, zwischen denen ein breiter Graben verlief. Wie zwei störrische alte Ehegatten, die nichts mehr miteinander zu tun haben wollen, dachte Marthe-Marie belustigt. Aus dem einst berühmten Benediktinerkloster war längst eine evangelische Klosterschule geworden, und die Stadt war zwar klein, aber voller Leben. Von ihrer Bedeutung als Handwerks- und Marktzentrum für ein weites Umland zeugten das mächtige Heilig-Geist-Spital und einige stolze Bürger- und Adelshäuser um Kirch- und Marktplatz, neben denen sich die Handwerkerhäuser der Weber und Gerber umso bescheidener ausnahmen.
    Am Rathaus, das zugleich als Fruchtkasten und mit seinen Lauben den Handwerkern, Bäckern und Metzgern als Kaufhaus diente, ließen sie den Prinzipal zurück. Bei seinem Gang als Supplikant wollte er nicht einmal Diego dabeihaben.
    So schlenderten sie ohne Eile durch die Gassen und über den Markt, wo sich zum Markttag Händler aus nah und fern eingefunden hatten. Hier pries man Leinwand- und Barchentwaren aus Ulm an, dort kunstvolle Holzschnitzarbeiten aus Biberach oder Lederschuhe aus Ravensburg. Marthe-Marie blieb an einem Stand mit Beinwaren stehen und betrachtete hingerissen die zierlichen Kämme, Haarspangen und Spielfiguren aus Elfenbein.
    «Ein Schachspiel gefällig?», fragte der Händler. «Als Miniaturen für die Reise?»
    Diego schüttelte den Kopf. «Das sind doch keine Miniaturen.Ich kenne einen Beindrechsler aus Geislingen, der hat die Figuren so fein und winzig gearbeitet, dass alle zweiunddreißig in einem Kirschkern Platz finden.»
    Der Mann glotzte ihn ungläubig an, dann wandte er sich an Marthe-Marie. «Eurem Herrn Gatten geht wohl manchmal die Phantasie durch.»
    Marthe-Marie lachte. «Da habt Ihr ganz Recht.»
    Diego verzog in gespieltem Trotz den Mund. «Aber wenn ich es doch sage. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.»
    Ein Bub zupfte ihn am Ärmel. Er könne sie zum berühmten Blautopf führen, jener Quelle von unergründlicher Tiefe gleich hinter dem Kloster. Diego hatte davon gehört, und so willigten sie ein.
    Staunend standen sie kurz darauf am Rand des fast kreisrunden Wassertrichters, der sich unterhalb einer zerklüfteten Felswand in wahrhaft königlichem Blau darbot. Spiegelglatt war seine Oberfläche, kristallklar das Wasser, so dass seine blaue Farbe von einem Wunder herrühren musste. Nach starkem Regen oder Tauwetter, erzählte der Junge, trübe sich die Quelle, werde auffallend unruhig und beginne hohe Wellen aufzuwerfen, die noch in der Donau zu beobachten seien.
    «Das ist die schöne Lau, die dann zürnt, und man muss sie mit Schmuck und Gold beruhigen, sonst überschwemmt sie mit ihren Fluten Kloster und Stadt.»
    «Die schöne Lau?» Tilman, der mit seinem Freund Niklas mitgekommen war, sah ihn ungläubig an.
    «Eine Wasserfrau mit langen fließenden Haaren und leuchtend blauen Augen, die auf dem Grund wohnt. Ihr Mann, ein Wasserkönig im Meer, hat sie hierher verbannt, weil sie nur tote Kinder gebären konnte. Erst wenn jemand sie zum Lachen bringt, wird sie von diesem Fluch erlöst.»
    Kein Senkblei habe bisher die Tiefe dieser mächtigen Quelleausloten können, und etliche Männer habe die schöne Lau bei den Messversuchen zu sich auf den Grund gezerrt.
    «Wenn Ihr wollt, führe ich Euch noch zu einer Grotte in der Nähe.»
    «Danke, mein Junge.» Marusch schüttelte den Kopf. «Ich denke, wir bleiben noch ein wenig an diesem geheimnisvollen Ort.»
    Marthe-Marie sah ihren hilfesuchenden Blick und zog aus ihrer Geldkatze einen der letzten Pfennige. Tilman nahm rasch die Münze, zwinkerte ihr zu und hielt sie dem Jungen hin.
    «Zeigst du mir und meinem Freund die Grotte?»
    Der Junge brummte ein unwilliges Ja, dann verschwanden die drei in Richtung Klosterhof. Marthe-Marie trat näher ans Ufer. Unverwandt starrte sie auf den tiefblauen Wasserspiegel, bis ihr schwindelte und sie in der Mitte einen dunklen Schatten aufsteigen sah. Sie schwankte heftig, da sprang Diego mit einem Satz zu ihr und schloss sie in die Arme.
    «Beinahe hätte die Lau dich geholt», flüsterte er. «Hätte mir einfach meine Liebste gestohlen.»
    Er zog sie neben sich aufs Gras, und sie ließ es sich gefallen. Ihr war noch immer flau in der Magengegend. Ganz deutlich hatte sie eine unsichtbare Kraft gespürt, die nach ihr gegriffen hatte.
    «Glaubst du an diese

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