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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Alters, mit den schlimmsten Strafen vergelten will, die unser Land kennt: Ihr Knaben werdet aufs Rad geflochten und gevierteilt, bis euch die Därme aus dem Leib quellen, und ihr, Wespe und Klette, in den Sack gebunden und geschwemmt, bis euch die Lunge platzt und ihr in der Donau ersauft.»
    Sie hörten ein unterdrücktes Schluchzen, erst aus der einen, dann aus einer anderen Richtung.
    «Qualvoll sollt ihr sterben, unter höllischen Schmerzen und Ängsten. So will es die Obrigkeit dieser Stadt.»
    Das Schluchzen wurde lauter.
    «Und doch gibt es eine Möglichkeit zur Rettung. Eine einzige nur.» Sie machte eine Pause. «Ihr bekennt bei der Befragung nichts als die Wahrheit. Mein allmächtiger Meister wird bei euch sein, heimlich und unsichtbar, bei jedem Einzelnen von euch. Und er wird die Schöffen lenken wie der Puppenspieler seine Marionetten, und er wird aus ihrem Munde Recht sprechen. Sagt ihr die reine Wahrheit, wird er euch begnadigen. Weh aber dem, der lügt, wehe dem, der falsche Namen nennt.» Sie hob die Lampeund leuchtete Pechmutz ins Gesicht. «Derjenige wird auf Erden höllische Qualen erleiden, die sich im Fegefeuer in alle Ewigkeit fortsetzen. Habt ihr das verstanden?»
    Die meisten nickten stumm, mit angstvoll aufgerissenen Augen. Eines der Mädchen flüsterte: «Seid Ihr Zauberinnen?»
    «Mummenschanz! Sie lügt», zischte Pechmutz.
    «Jetzt halt du dein Maul!» Der Junge neben ihm versetzte ihm einen heftigen Tritt.
    «Zauberin, Hexe   – Namen haben in meiner Welt keine Bedeutung. Und nun geht in euch.»
    Sie murmelte eine weitere Beschwörungsformel, während sie Kristall und Tuch einpackte, dann schritt sie ohne ein weiteres Wort zur Tür. Marthe-Marie folgte ihr mit zitternden Knien. Das Wort ‹Hexe› hallte in ihren Ohren.
    «Heilige Mutter Maria», flüsterte sie, als sie draußen auf der Stiege standen. «Wie konntest du solche Dinge sagen.»
    «Die Mutter Gottes wird mir schon verzeihen. Nimm einfach alles, was wir getan haben, als ein Theaterstück. Es war übrigens Tilman, der als Erster geschluchzt hat. Ein waschechter Schauspieler.» Sie konnte ein stolzes Lächeln nicht unterdrücken.
    Wenige Minuten später standen sie draußen an einem Brunnen und wuschen sich den Ruß aus dem Gesicht. Die Nacht war bereits angebrochen.
    «Wenn uns der Wärter verpfeift?» Marthe-Marie rieb sich Gesicht und Hals trocken, bis die Haut brannte. Sie waren höchstens eine Stunde im Gänsturm gewesen, ihr aber kam es vor, als seien sie den ganzen Tag über fort gewesen. Jetzt erst bemerkte sie, wie erschöpft ihre Freundin aussah.
    «Er wird sich hüten, der Schwachkopf. Dann müsste er ja zugeben, dass er gegen sämtliche Vorschriften verstoßen hat.»
    «Und wenn wir ihm hier irgendwo begegnen und er uns erkennt?»
    «Donnerst du dich normalerweise so als Hure auf? Na also. Außerdem müssen wir ohnehin aus der Stadt verschwinden. Wieder einmal», fügte sie bitter hinzu.
    Marthe-Marie lehnte sich an den Brunnenrand. Plötzlich stieg ein furchtbarer Gedanke in ihr auf: Was, wenn Pechmutz brühwarm erzählte, dass zwei Hexen bei ihnen im Turm gewesen seien? Und wenn herauskäme, dass es sich dabei um sie beide handelte?
    Marusch schien ihre Gedanken zu erraten. «Es war nicht ungefährlich, was wir getan haben. Umso mehr möchte ich dir für deinen Mut danken.» Sie sah zu Boden. «Vielleicht hätte ich dich gar nicht mit hineinziehen dürfen. Ich weiß sehr wohl, dass es böse ausgehen kann.»
    Marthe-Marie zuckte die Achseln. «Auf jeden Fall warst du großartig. Du hast den Kindern einen heillosen Schrecken eingejagt. Fast tun sie mir Leid: Wenn sie jetzt tatsächlich die Wahrheit sagen und alles bekennen, was sie jemals verbockt haben, werden sie dann Gnade finden?»
    «Das ist tatsächlich ihre einzige Rettung. Sie sind ja auf frischer Tat erwischt worden. Man würde erkennen, dass sie bereuen, und sie nach einem Tag am Pranger aus der Stadt jagen. Glaub mir.»
    «Dann denkst du also, dass unsere Buben freikommen?»
    Marusch zuckte die Schultern. «Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sagen diese Spitzbuben endlich die Wahrheit und entlasten damit Tilman und Niklas, oder sie lügen weiter und landen allesamt am Galgen. Über die dritte Möglichkeit möchte ich lieber nicht nachdenken.»
    «Welche dritte?»
    «Dass Tilman und Niklas tatsächlich dabei waren, als sie den Opferstock aufgebrochen haben.»
    In der Herberge saßen die anderen bereits in der Schankstube. Agnes und Clara warfen sich

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