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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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und gab dem Wächter die Flasche zurück. Gebannt beobachtete Marthe-Marie, wie der Mann den Branntwein in die Kehle rinnen ließ, als sei es Wasser.
    «So ist’s recht», murmelte Marusch, und Marthe-Marie sah mit Entsetzen, wie die Hand ihrer Freundin seinen Oberschenkel hinaufglitt. Wie konnte sie nur so mit dem Feuer spielen.
    Sixtus wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und glotzte vor Erregung wie eine Kuh. Währendessen strich Maruschs andere Hand an seinem Hinterteil entlang. Schlagartig begriff Marthe-Marie, dass sie nach dem Schlüsselbund suchte.
    Der Branntwein zeigte inzwischen erstaunliche Wirkung. Sixtus grapschte erst Marusch, dann ihr zwei-, dreimal unbeholfen an den Busen, dann klappte sein Kinn gegen die Brust, und er kippte mit seinem ganzen Gewicht gegen Marthe-Marie. Sein erregtes Gemurmel ging in Schnarchen über.
    Marthe-Marie nahm die leere Lederflasche aus seinem Schoß, erhob sich und bettete den Wächter vorsichtig der Länge nach auf die Bank.
    «Du musst ihn nicht anfassen wie ein rohes Ei.» Marusch grinste. «So schnell steht dieses Spatzenhirn nicht wieder auf. Und jetzt schau mal, was ich hier hab.»
    Triumphierend hob sie den Schlüsselbund in die Höhe.
    «Dem Himmel sei Dank!» Marthe-Marie atmete hörbar aus und warf einen letzten Blick auf Sixtus. «Da war nicht nur Branntwein in der Flasche, oder?»
    «Sagen wir: Ich habe ihn ein wenig angereichert mit Ambrosius’ Hausmittelchen.» Sie nahm die Lampe vom Haken. «Hoffen wir, dass der zweite Teil des Schauspiels genauso glatt über die Bühne geht.»
    Im schwachen Schein der Lampe kletterten sie die steile Stiege hinauf, bis sie vor einer schweren Eisentür standen. Marthe-Maries Herz klopfte so heftig, dass sie glaubte, das Echo von den Wändenhören zu können. Marusch drückte ihr ein Stück Holzkohle in die Hand, und sie schwärzten sich Gesicht und Hals.
    «Lass mich reden», flüsterte Marusch. Dann öffnete sie das schwere Schloss.
    Während sie eintraten, hielt sie die Lampe so, dass die Zelle erleuchtet wurde, ihre Gesichter jedoch nicht zu sehen waren. Die Gespräche der Kinder waren schon verstummt, als die Treppe geknarrt hatte. Sie kauerten auf dem nackten Steinboden, ihre Handgelenke mit Ketten an die Wand geschmiedet. Marthe-Marie hatte Niklas und Tilman kaum entdeckt, da stand Marusch auch schon bei ihnen. Wenn die beiden jetzt nur nichts Falsches sagten.
    «Eure beiden Gesichter kenne ich ja gar nicht», sagte Marusch in drohendem Unterton, ohne jedoch ihre Stimme zu verstellen, und hielt die Lampe unter ihr geschwärztes, verzerrtes Gesicht. Es war grauslich anzusehen im flackernden Schein, einer teuflischen Fratze ähnlicher als dem einer Frau. Dann fuhr sie in dröhnendem Bass fort: «Sagt mir, wer ihr seid.»
    Marthe-Marie schlug innerlich drei Kreuze vor Erleichterung, als Tilman hastig erwiderte: «Wir sind Gauklerkinder und haben mit dieser Bande nichts zu tun, ehrwürdige Gevatterin.»
    «Halt’s Maul», schrie Pechmutz von der gegenüberliegenden Seite. Doch seiner Stimme war anzuhören, dass von seiner Selbstsicherheit nicht mehr viel übrig war.
    Und nun gab Marusch eine Vorstellung, die jedem englischen Mimen zur Ehre gereicht hätte. Sie stellte die Lampe zu Boden, breitete ein schwarzes Tuch daneben aus und legte auf dessen Mitte Salomes Kristall, der das spärliche Licht auf wundersame Weise in den Raum zurückwarf. Wände und Decke schimmerten in regenbogenfarbenen Facetten, die bei jedem Windhauch, der die Lampe traf, zu tanzen begannen. Die Kinder erstarrten. In ihren bleichen Gesichtern las Marthe-Marie furchtsame Anspannung,und auch sie selbst konnte sich kaum des Gefühls erwehren, hier in diesem schmutzigen Turmverlies die Schwelle zu einer jenseitigen Welt überschritten zu haben. Huschte dort hinten, in der Ecke, nicht ein Schatten? Sicher nur eine Ratte, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie zuckte zusammen, als Marusch in die Stille hinein fremdartige Worte sprach, mit tiefer Stimme, der dieser kahle dunkle Raum einen unwirklichen Hall verlieh.
    «Oman Sloman Brax, Enter Mensis Fax.» Sie hob die Arme und beugte sich über die Kristallkugel. «Jetzt lasst euch sagen, warum meine Famula und ich gekommen sind. Diese Kristallkugel hat mich wissen lassen, dass hier, in dieser Stadt, Unrecht geschehen soll. Dass der Bürgermeister, der über euch Gericht halten wird, von dem Gedanken getrieben ist, mit euch ein Exempel zu statuieren. Dass er eure Vergehen, ungeachtet eures jungen

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