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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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konnten von dem Büttel nur mit Mühe zurückgehalten werden, die Bühne zu stürmen. Endlich zerstreute sich die Menge, auf dem Platz kehrte eine unheimliche Ruhe ein.
    «Morgen früh seid ihr aus der Stadt verschwunden», erklärte der Mann. «Sonst landen noch mehr von euch im Gänsturm.»
    «Im Gänsturm?» Sonntags Unterlippe zitterte. «Was soll das?»
    «Beschluss der Ratsadvokaten. Wir haben hier keinen Platz für Diebspack.»
    Er wandte sich ab, doch Marusch hielt ihn an der Schulter fest. «Aber wir haben doch wohl ein Recht zu erfahren, was uns vorgeworfen wird.»
    Der Büttel schüttelte ihre Hand ab. «Wir haben einen gewissen Pechmutz mit seiner Bande verhaftet. Diese Schelme haben aus dem Münster den Opferstock gestohlen und, als sie erwischt wurden, dem Kirchendiener fast den Schädel zerschmettert.»
    Marusch wurde totenbleich. «Was hat das mit uns zu tun?»
    «Pechmutz hat zwei eurer Buben als Komplizen angegeben. Und jetzt packt euren Kram und verschwindet.»
    «Nein, wartet. Das ist eine üble Verleumdung. Unsere Kinder sind keine Diebe.»
    «Pah! Das sagen alle Vaganten und Zigeuner.» Er spuckte ihr vor die Füße. «Der Rat wartet mit der Examinierung nur noch, bis der Biberacher Scharfrichter eintrifft. Dann geht es ab an den Galgen mit euren Spitzbuben. Aber ihr seid dann ja nicht mehr da, um dem Schauspiel zuzusehen.»
    Er hob seine Pike und schritt Richtung Rathaus davon. Der Prinzipal sah ihm nach und wandte sich dann mit leerem Gesichtsausdruck an Marusch. «Ich werde beim Magistrat eine Eingabe machen.»
    «Was Besseres fällt dir nicht ein? Man wird dich nicht mal über die Schwelle des Rathauses lassen.» Maruschs Stimme klang so hart und schneidend, wie Marthe-Marie es noch nie gehört hatte. «Dieser Hurensohn von Pechmutz. Nie und nimmer haben Tilman und Niklas gestohlen.»
    Anna begann haltlos zu schluchzen, und Marthe-Marie, die selbst mit den Tränen kämpfte, legte ihr tröstend den Arm um die Schulter. Die anderen schwiegen, ratlos und betroffen. Einzig Marusch schien nachzudenken, zumindest sah ihre angestrengtgerunzelte Stirn danach aus. Mit einem Mal sagte sie in die Stille hinein: «Wir müssen die beiden da rausholen, bevor sie examiniert werden. Und dazu gibt es nur eine Möglichkeit.»
    «Und die wäre?» Aus Sonntags Blick sprach mehr als Zweifel.
    «Pechmutz und seine Bande müssen widerrufen. Sie müssen zugeben, dass sie gelogen haben.»
    Diego lachte laut auf. «Was für ein großartiger Einfall! Marschieren wir also alle zum Turmwächter und bitten ihn um eine Unterredung mit Pechmutz. Nichts einfacher als das.»
    «Halt den Mund, du Klugschwätzer. Marthe-Marie, kommst du mit? Ich brauche deine Unterstützung.»
    Marthe-Marie nickte beklommen. Dann wandte sich Marusch an die Wahrsagerin.
    «Leihst du uns deine Kristallkugel?»
    Salome zog ihren Kopf noch tiefer zwischen ihre buckligen Schultern. «Nicht meine Kugel!»
    «Bitte! Das hier ist ein Notfall.»
    Die Zwergin stand einen Augenblick stumm da, dann schlurfte sie zu ihrem Karren und kehrte mit einem kleinen Beutel zurück.
    «Du weißt, was sie mir bedeutet.»
    «Ich verspreche dir, ich hüte sie wie einen Schatz. Außer mir wird sie keiner berühren.»
    Dann zog sie Marthe-Marie zum Requisitenwagen. «Wir brauchen Holzkohle und Branntwein. Und wir müssen uns umziehen, such dir ein Kleid mit möglichst tiefem Ausschnitt.»
    Als sie wieder vom Wagen kletterten, stellte sich Diego ihnen in den Weg.
    «Du sagst mir jetzt, was du vorhast, Marusch.»
    «Lass mich in Ruhe.»
    «Ihr wollt zum Turm, nicht wahr? Das ist Wahnsinn.»
    «Hast du einen besseren Einfall?»
    Statt einer Antwort sah er Marthe-Marie an und hielt sie amHandgelenk fest. In seinen Augen stand die blanke Angst. Es war die Angst um einen geliebten Menschen. In diesem Augenblick begriff Marthe-Marie, wie unrecht sie Diego getan hatte, indem sie in ihm immer nur den Komödianten gesehen, ihm seine Gefühle niemals geglaubt hatte.
    «Mach dir keine Sorgen», sagte sie leise. «Uns wird schon nichts geschehen.»
    «Nichts geschehen?» Röte überzog sein Gesicht. «Wie Hübschlerinnen habt ihr euch aufgetakelt, und da sagst du, es wird nichts geschehen? Glaubt ihr, ich weiß nicht, wie ihr euch Zutritt im Turm verschaffen wollt? Wie ist der Herr Wächter doch zu beneiden – gleich zwei Frauen werden ihn beglücken.»
    Wütend schüttelte Marthe-Marie seine Hand ab. Darum sorgte er sich also. Was für ein selbstgefälliger Gockel dieser Mann

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