Die Tochter der Hexe
war!
«Gehen wir, bevor es zu dunkel wird», sagte sie zu Marusch. Hätte sie bis zu diesem Moment noch am liebsten das Hasenpanier ergriffen, so war sie jetzt fest entschlossen mitzumachen – was immer Marusch auch vorhatte.
Wenig später klopften sie an das Wächterhäuschen des Gänsturms. Eine Luke öffnete sich, hinter der ein unrasiertes Mondgesicht erschien. Sofort schob Marusch ihr aufreizend geschminktes Gesicht vor das Fenster und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf.
«Einen wunderschönen Abend, guter Mann. Könnt Ihr uns vielleicht verraten, wo zwei durstige Jungfrauen hier um diese Zeit noch einen Krug Bier bekommen?»
Der Mann starrte sie mit großen Augen an und öffnete und schloss mehrmals den Mund. Dann klappte die Luke zu, und die Tür ging auf.
«Ein Krug Bier, jaja. Rasch herein mit euch. Braucht niemand zu sehen, welch hübschen Besuch ich da habe.»
In der niedrigen Stube stank es, als sei seit Jahren nicht mehrgelüftet worden. Durch ein schmutziges kleines Fenster drang nur so viel Licht herein, dass die wenigen Möbel, ein wackliger Holztisch mit Eckbank und ein ungemachtes Bett, gerade noch auszumachen waren. Jetzt erkannten sie, dass der Mann klein war, aber kräftig, stiernackig und mit wuchtigen Schultern. Bei einem Kampf würden sie es auch zu zweit kaum mit ihm aufnehmen können. Marthe-Marie kamen Maruschs Worte in den Sinn: Plane eine Unternehmung immer wohl voraus, aber denke sie niemals zu Ende.
«Von hier seid Ihr aber nicht?» Misstrauen lag plötzlich in seinem Blick.
«Wir kommen aus Blaubeuren.» Maruschs Gesicht verzog sich zu einem schuldbewussten Lächeln. «Um ehrlich zu sein, wir sind nicht zufällig hier, sondern wegen der kleinen Galgenstricke, die Euch gerade ins Netz gegangen sind. Wir sind die Muhmen von Wespe und Klette und würden den beiden gern ins Gewissen reden. Diese Schlampen haben nämlich auch zu Hause schon einiges auf dem Kerbholz, und vielleicht zeigt sich der Richter ja ein wenig gnädig, wenn sie aufrichtig bereuen und alles gestehen würden.»
«Ohne Erlaubnis des Rats darf ich niemanden zu den Gefangenen lassen.»
«Na, wenn es Euch verboten ist.» Marusch tätschelte den behaarten Unterarm des Wächters. «Aber es wird schon niemand erfahren, und Euer Schaden soll es nicht sein.»
Sie zog ihn neben sich auf die Bank und gab Marthe-Marie zu verstehen, sich an die andere Seite des Mannes zu setzen. Dann holte sie die Lederflasche mit Branntwein unter ihrem Rock hervor, entkorkte sie und hielt sie dem Wächter unter die Nase.
«Also wenn kein Bier da ist, müssen wir wohl unseren Reiseproviant anbrechen. Ein Schlückchen?»
Es war dem Wärter anzusehen, wie Misstrauen und Gier inihm kämpften. Schließlich griff er hastig nach der Flasche, nahm einen tiefen Schluck, wischte sich den Mund ab und schloss genießerisch die Augen. «Na ja, vielleicht sollten wir uns wirklich einmal über Eure sauberen Nichten unterhalten. Ich hoffe, Ihr habt es nicht allzu eilig. Vielleicht kann ich ja ein gutes Wort beim Rat für sie einlegen. Bei einsichtigem Verhalten …» Er grinste angestrengt und starrte dabei mit rotem Kopf auf Maruschs tiefen Ausschnitt.
«Genau so machen wir’s. Das mit unseren beiden Lumpendirnen erledigen wir später. Geht es dort zur Turmstube hinauf?» Sie wies auf eine niedrige Tür neben dem Waschtisch.
Der Mann nickte und griff gierig nach der Flasche. Marthe-Marie sah sich unauffällig um. Neben dem Türchen hing zwar eine Lampe am Haken, ein Schlüsselbund war jedoch nirgends zu entdecken.
Dann folgte der Moment, den sie am meisten gefürchtet hatte. Er setzte die Flasche ab und küsste erst Marusch, dann näherte sich sein schwitzendes rotes Gesicht dem ihren. Als er seine Zunge fordernd zwischen ihre Lippen bohrte, hob sich ihr Magen, und in ihrer Kehle begann es zu würgen. Marusch zerrte ihn zurück.
«Immer langsam mit den jungen Pferden, lasst mich und meine Freundin doch auch erst mal ein Schlückchen trinken. Dann wird es umso lustiger mit uns dreien.»
Gehorsam reichte er Marthe-Marie den Branntwein, die die Flasche an ihre Lippen setzte, ohne zu trinken, wie Marusch ihr zuvor eingeschärft hatte. Allein der Geruch dieses Fusels machte sie schon benommen.
«Und jetzt, mein Goldschatz, sag uns erst mal, wie du heißt.» Maruschs Hand ruhte inzwischen auf seinem Knie.
«Sixtus», grunzte er.
«Auf dein Wohl, Sixtus!»
Marusch nahm scheinbar einen kräftigen Schluck, brachte essogar fertig, zu rülpsen
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