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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Wir kennen den menschlichen Körper und dessen Regungen und Reflexe besser als jeder städtische Wundarzt, genauer als jeder studierte Medicus. Hat nicht sogar der berühmte Paracelsus bei uns Scharfrichtern gelernt?
    Glaubt mir, Meister Siferlin: Diese Macht, diese Herrschaft über Leben und Tod lässt mich gerne darüber hinwegsehen, dass unser Beruf in den Augen der Leute zu den unehrlichsten unter den unehrlichen zählt. Was kümmert’s mich, dass sie mich nicht lieben, solange sie mich fürchten? Und nicht zuletzt lebe ich seit meiner Berufung nach Biberach wie ein Herr. Nicht länger muss ich mit dem lächerlichen Präsenzgeld von einem oder zwei Gulden am Tag auskommen, nein, wir Biberacher lassen uns unseren Erfolg teuer bezahlen: Zwei Gulden für die Untersuchung auf das Hexenmal, acht Gulden für jede durchgeführte Hinrichtung. Ein edles Kutschpferd samt Einspänner habe ich inzwischen im Stall, ich gehe in Samt und Seide und lasse mir erlesene Speisen, Getränke und Spezereien ins Haus liefern.
    Aber das ist alles unwichtig. Wichtig ist das andere: Ich bin der Hexentochter und ihrem Balg wieder auf der Spur.
    Es ist so deutlich, es ist alles Gottes Fügung: Ich durfte dieses Amt in Biberach antreten, und nun bin ich ganz in der Nähe von Benedikt Hofer, dem Buhlen der Hexe, dem Vater ihrer Tochter. Und ich habe Recht behalten damit, dass die Mangoltin ihren Weg in dessen
Richtung einschlagen würde, nun weiß ich’s, seit dieser Bande junger Diebe in Ulm. – Leider kam meine Kunst nicht zum Zuge, da sie ihre Untaten ohne peinliche Befragung gestanden, und das Aufknüpfen des Anführers überließ ich meinem Knecht. Aber wer fand sich da nicht unter den Spitzbuben: Zwei Burschen aus der Gauklertruppe! So fügt sich nun alles aufs Beste.
    Ja, Hexentochter, warte nur. In Ulm bist du mir noch entwischt, musste ich doch gleich weiter nach Garmisch, und euch hat man aus der Stadt gejagt. Doch jetzt bin ich dir auf den Fersen. Ich muss nur meine Fühler ausstrecken, dann habe ich dich. Längst klebst du in meinem Netz und weißt es nicht einmal.
    Es gefällt mir, dich in meiner Nähe zu wissen. Jetzt habe ich keine Eile mehr, o nein. Ich will dich noch ein wenig zappeln lassen, mich an dem Kommenden berauschen, meinen Plan bis in die kleinsten Einzelheiten ausspinnen. Ist nicht Vorfreude die schönste Freude? Und dann, wenn du es am wenigstens erwartest, schnappe ich zu.
    Niemals wirst du deinen leiblichen Vater zu Gesicht bekommen, so wenig wie deine Tochter ihren Großvater. Nie wieder wirst du dich von geilen Hurenböcken besteigen lassen, denn Meister Wulfhart von Biberach wird der letzte Mann sein, dessen Schrei der Wollust in deinen Ohren gellt.

34
    «Dich trifft keine Schuld!» Behutsam nahm Marthe-Marie ihrer Freundin die Zügel aus der Hand. «Vielleicht solltest du nach Tilman und den beiden Mädchen sehen.»
    Marusch nickte. Ihr Gesicht war aschfahl. Sie warf einen letzten Blick hinüber zu dem Menschenauflauf am Hügel, dann sprang sie vom Kutschbock. Kein Fleckchen Gras, kein Strauchwerk mehrwar vom Galgenberg zu sehen. Es herrschte ein solches Gedränge, als habe der Kaiser persönlich sein Erscheinen angekündigt. Vor allem Frauen und junge Burschen waren unter den Gaffern: Sämtliche Meister der Stadt schienen ihren Lehrbuben freigegeben zu haben, damit sie dieses Exempel von Gerechtigkeit und Strafe miterleben konnten.
    Marthe-Marie zwang ihren Blick nach vorne. Sie hatte genug gesehen. Über den Köpfen der Menschenmenge hinweg, oben auf der Kuppe, war der strohblonde Haarschopf unter dem Balken des Doppelgalgens deutlich zu erkennen gewesen. Hätten sie vorher gewusst, dass ihr Weg nach Süden sie geradewegs an der Richtstätte vorbeiführte – jeden noch so weiten Umweg hätten sie in Kauf genommen.
    Endlich lag der Galgenberg hinter ihnen. Das Grölen und Rätschengetöse wurde leiser, bis es endlich verstummte. Als die Klosterkirche von Wiblingen in Sicht kam, wandte sich die Landstraße nach Laupheim von der Donau ab und schlängelte sich durch die sanfte Hügellandschaft. Marusch kehrte zu ihrem Wagen zurück.
    «Wie geht es ihnen?», fragte Marthe-Marie.
    Marusch Stimme klang heiser, ganz offensichtlich hatte sie geweint.
    «Tilman spricht immer noch kein Wort. Ich weiß, dass er mir Vorwürfe macht wegen Pechmutzens Verurteilung.»
    «Denk so etwas nicht, Marusch. Was er und Niklas erlebt haben, ist nicht so leicht zu verwinden: Vier Tage in diesem dunklen Loch an die Wand gekettet

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