Die Tochter der Hexe
unseren guten Willen beweisen können. Wir werden euch zur Hand gehen, wo wir nur können, und keine Dummheiten mehr machen. Das versprechen wir. Und wenn ihr mit uns nicht zufrieden seid, verschwinden wir einfach.»
«Und zwar mit unserer Kasse», knurrte Quirin, «das hatten wir bereits einmal.»
Diego sah ihn verächtlich an. «Die ist leer, du Schafskopf.»
«Gut, gut», Sonntag räusperte sich, «da ich als Prinzipal ohnehin die Verantwortung trage, beschließe ich, dass ihr vorerst bleiben dürft. Wespe geht Antonia zur Hand und Klette versorgt die Tiere.»
Severin hob die Hand. «Klette reitet wie der Teufel und ist dabei leicht wie eine Feder. Wir könnten sie beim Kunstreiten brauchen.»
Sonntag nickte. «Probiert es aus. Aber damit das klar ist: Wenn irgendetwas vorfällt, jage ich euch zwei eigenhändig aus unserem Tross, und wenn es mitten im Wald ist. Dann könnt ihr sehen, wie ihr ohne Schutz und Beistand durch den Winter kommt.»
Marthe-Marie sah zu Marusch und musste grinsen. Sie machte jede Wette, dass Sonntags Entscheidung auf deren Mist gewachsen war.
Dem heißen Juni folgte ein Hochsommer, in dem es Tag für Tag in Strömen regnete. Der Himmel schien sich für immer in schmutziges Grau verwandelt zu haben, in den Wäldern wimmelte es vonFeuersalamandern, die aus ihren Verstecken krochen, und auf den Äckern verfaulte die Feldfrucht im Matsch, bevor sie überhaupt ausreifen konnte. Jedes Kind wusste, was das zu bedeuten hatte: eine miserable Ernte, die große Teuerung und Not nach sich ziehen würde. Zerstreuung und Kurzweil wären dann zwar wichtiger denn je, doch bezahlen würde keiner dafür. Bald traten die Bäche und Flüsse über die Ufer, die Nebenstraßen und Feldwege wurden unpassierbar, sodass Sonntag und seine Leute auf die Fernstraßen ausweichen und teure Maut entrichten mussten.
Sie kamen auf keinen grünen Zweig mehr in diesem Sommer. Obwohl sie jede noch so geringe Gelegenheit nutzten, um mit albernen Possen ein paar Pfennige einzutreiben, blieben sie oft tage- und wochenlang ohne einen einzigen Auftritt. Sie steuerten jedes Dorf, jeden Marktflecken an, um nur doch meist wieder fortgeschickt zu werden. Entweder weil bereits andere Komödianten und Musikanten am Ort waren oder, was nun weit häufiger vorkam, weil Fremde und Fahrende grundsätzlich nicht geduldet waren. So irrten sie kreuz und quer durch die Lande zwischen Donau und Iller, wie eine Rotte Wildschweine, die vor Hunger die Orientierung verloren hat. Längst war der Prinzipal es leid, um Konzessionen zu ersuchen. Gelangten sie in eine Stadt, drückten sie sich ohne Pferd und Wagen am Torwächter vorbei und zeigten auf dem Marktplatz oder Kirchplatz ihre Darbietungen, bis man sie verjagte. Mitunter geschah das in Blitzesschnelle.
Auch der Herbst setzte wieder viel zu früh ein. Zu dem Regen kam die Kälte. Alle wurden sie inzwischen von Schnupfen oder Katarrh gequält. Und immer häufiger von Hunger. Um abends überhaupt etwas im Kessel zu haben, sammelten sie unterwegs Nüsse, Kastanien und Bucheckern auf oder stahlen in einsamen Gegenden verrottete Rüben und Kohlstrünke von den Feldern. Schnecken und Pilze ersetzten das fehlende Fleisch. Die Kinder erbettelten in den Dörfern altes Brot, um es andernorts Bauernals Viehfutter zu verkaufen, und Marusch musste dem stillschweigend zusehen.
Die Stimmung unter den Spielleuten wurde zunehmend gedrückter, und nachdem sie einmal mehr mit Hunden aus einem Dorf verjagt worden waren, forderte Marusch vom Prinzipal, endlich wieder die Führung zu übernehmen und zu planen, statt die Truppe von einem Fiasko ins nächste laufen zu lassen. So beschloss Sonntag, nach Biberach zu ziehen. Er hatte gehört, dort sei man Fremden gegenüber aufgeschlossen. Danach wollte er weiter über Waldsee und Ravensburg an den Bodensee, um in dessen mildem Klima ein Winterlager zu suchen.
Tatsächlich hatte die Obrigkeit in Biberach, das durch seine Lage am Kreuzungspunkt bedeutender Handelsstraßen recht wohlhabend war, nichts gegen die Gaukler einzuwenden. Zumal die Bürger der Stadt ein theaterbegeistertes Volk waren und selbst hin und wieder in der Schlachtmetzig Schauspiele aufführten. So durften sie auf dem südlichen Teil des Marktplatzes an allen Nachmittagen bis auf die Sonntage auftreten. Valentin und Severin erhielten sogar Erlaubnis, quer über den Holzmarkt ein Seil zu spannen, um ihre atemberaubende Balanciernummer zu zeigen, und den Musikern wurde zugestanden, ihr
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