Die Tochter der Hexe
kehrten sie zurück. Kopfschüttelnd berichtete der Prinzipal von ihren Verhandlungen. Beim Trinken und Kartenspielen hätten sie die hohen Herren angetroffen und wären sogleich zu einem Schoppen Wein eingeladen worden. Dabei hätten sie Bemerkenswertes erfahren.
«Waldsee steht unter der Pfandherrschaft des Truchsess von Waldburg, wie wir erfahren haben. Der anwesende Ratsherr ließ uns zunächst wissen, dass der Truchsess Order gegeben habe, kein fahrendes Volk einzulassen, doch dann ergriff der Stadtammann das Wort und meinte, solange der Truchsess außer Landes weile, könne er ihnen schwerlich vorschreiben, was sich die Bürger zur inneren Erbauung leisteten. Und als Habsburger im Herzen und damit als braver Katholik hätte er nichts einzuwenden gegen ein christliches Spiel zum Weihnachtsfest, im Gegenteil.»
So habe denn der Ammann vorgeschlagen, ihnen die Konzession zu erteilen dergestalt, dass sie vor den Toren der Stadt lagern und dort gegen vier Pfennige Standgeld pro Tag beliebig oft ihre Darbietungen bringen dürften; allerdings solle angesichts der wirtschaftlichen Lage von den Zuschauern höchstens ein halber Schilling Eintritt verlangt werden, und lautstarke Werbung mit Trommel und Trompete sei untersagt. Zum Weihnachtsfest hingegen möchten sie vor dem Rathaus ihre Bühne aufbauen und an drei Tagen für einen Malter Roggen die zuvor besprochenen christlichen Schaustücke aufführen. Aus ihrem langen und äußerst freundlichen Gespräch habe man zwei Dinge deutlich heraushörenkönnen: Zum einen seien die Bürger der Stadt Waldsee ihrem Pfandherrn offensichtlich spinnefeind, zum anderen sei mit diesem Truchsess wohl nicht zu spaßen.
«Bleiben wir also hier», schloss er seine Ausführungen, «und ziehen erst nach Weihnachten an den Bodensee. Falls es nicht aus Eimern gießt oder fürchterlich zu schneien beginnt, sollten wir die Reise nach Buchhorn in wenigen Tagen schaffen.»
Marthe-Marie betete im Stillen, dass das Schicksal ihnen hier endlich besser mitspiele, denn angesichts des einbrechenden Winters und ihrer leeren Kasse packte sie inzwischen die nackte Angst, Hungers zu sterben. Bereits jetzt musste jeder Bissen Brot, jeder Topf Weizenmus oder Suppe unter Maruschs strenger Aufsicht verteilt werden, und gerade die Kinder saßen nach den Mahlzeiten mit knurrendem Magen und enttäuschtem Blick vor den ausgekratzten Schüsseln.
So zeigten sie denn, sobald genügend Volk auf der Wiese zusammengeströmt war, ihre Historienspiele und die üblichen Kunststücke und Attraktionen. Die meisten Zuschauer waren einfache Ackerbürger, die vielleicht eine rote Kuh oder ein paar Schweine samt zugehörigem Misthaufen ihr Eigen nannten. Doch sie waren begeistert von ihrem Spiel und zahlten, ohne zu murren, ihren halben Schilling. Hin und wieder ließ sich einer der Chorherren blicken, weniger aus Vergnügen, denn um mit grimmiger Miene zu kontrollieren, ob nichts Unschickliches oder Gottloses gezeigt würde. Sie fanden aber nichts zu beanstanden, bis auf Salomes Wahrsagerei, und bereits am dritten Tag erschien früh morgens der Stadtweibel mit einem handgefertigten Schild: «Jeder sitzt ein im Turm drei Tage und drei Nächte lang, wer die Dienste der Wahrsagerin in Anspruch nimmt.»
«Ich kann leider nicht lesen», spottete Salome, als der Weibel das Schild über den Eingang ihres Zelts hängte. «Und die meisten meiner Besucher auch nicht.»
«Komm mir nicht dumm, du weißt genau, worum es geht», sagte er verächtlich und zog sich den Hut tiefer in die Stirn. «Oder willst du enden wie erst neulich die Schulerin, die alte Hebamme?»
Die sei mit dem Teufel im Bunde gestanden, erzählte er ungefragt, und habe etliche Neugeborene auf dem Gewissen. Sie habe sogar versucht, den kleinen Sohn des hoch angesehenen Bildschnitzers Hans Zürn zu verhexen, doch Meister Zürn sei Manns genug gewesen, ihr mit dem Messer zu drohen. Da habe sie von ihrem Vorhaben abgelassen. Vor einigen Wochen endlich habe sie gestanden, eine Hexe zu sein, und sei dafür zu Asche verbrannt worden.
«Du siehst, wir sind hier nicht zimperlich. Also sei vorsichtig. Und sag das den anderen Zigeunern hier weiter.»
Marthe-Marie hatte mit den Aufführungen nichts zu schaffen, denn weder ihre Nummer als Rechenkünstlerin noch «Romeo und Julia» waren angesichts des bevorstehenden Hochfestes geduldet. Sie wusste kaum, wie sie die Tage herumbringen sollte, fing hier an, Töpfe zu schrubben, dort Kleider auszubessern und ließ nach kurzer
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