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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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zu hören bekommen.
    Und so wurde die Frauenbergkapelle zu einem Denkmal der Unabhängigkeit, des unbeugsamen Willens, das sich die Bürger dieser Stadt selbst gesetzt hatten. Genau wie das prächtige Rathaus, vor dem Marthe-Marie jetzt mit klopfendem Herzen stand. Viel zu groß und zu schön war es für diese kleine Stadt. Ich mussneben Schloss und Stift bestehen können, schien seine prächtige Fassade ausdrücken zu wollen. Dass vom Erker dieses ehrwürdigen Hauses in den letzten Jahren über etliche Frauen als vermeintliche Hexen der Stab gebrochen worden war, wollte allerdings nicht so recht zum Bild der stolzen und freiheitsliebenden Waldseer Bürger passen. Doch warum sollte es hier auch anders zugehen als anderswo im Reich?
    Marthe-Marie griff nach Agnes’ Hand und gab sich einen Ruck. Als sie in das Dunkel der Arkaden trat, verstellte ihr ein Amtsdiener den Weg.
    «Wohin wollt Ihr?» Von oben bis unten musterte er ihre ärmliche Kleidung.
    «Ich erwarte eine Nachricht aus Konstanz. Von einem reichsstädtischen Boten.»
    «Na, wenn das so ist. Ihr habt Glück. Eben gerade war er hier und hat eine Sendung gebracht. Wartet hier», befahl der Mann und verschwand hinter einer schmucklosen Holztür. Kurz darauf war er mit einer kleinen versiegelten Papierrolle zurück.
    «Wie ist Euer Name?»
    «Marthe-Marie Mangoltin.»
    «Seltsam. Auf der Nachricht steht, sie sei für eine gewisse Marthe-Marie Stadellmenin.»
    Der Schreck verschlug ihr für einen Moment die Sprache.
    «Was ist? Heißt Ihr nun Mangoltin oder Stadellmenin?»
    «Stadellmenin mit Muttername», stotterte Marthe-Marie.
    «Nun – wie dem auch sei: Die Beschreibung des Boten stimmt. Eine bildhübsche Frau werde die Nachricht abholen.» Er grinste breit und reichte ihr die Rolle.
    Ihre Hände zitterten, als sie den Brief entgegennahm. Sie bedankte sich und eilte hinaus auf den Rathausplatz, als sei ein Verfolger hinter ihr her. Ohne nach rechts und links zu blicken durchquerte sie die Stadt so rasch, dass Agnes kaum Schritt haltenkonnte, hastete mit kurzem Gruß an dem Torwächter vorbei, bis sie endlich das Lager erreicht hatte. Die Papierrolle in ihrer Hand brannte wie glühende Kohle. Was hatte es zu bedeuten, dass ihr Bruder den Brief an Marthe-Marie Stadellmenin gerichtet hatte?
    «Geh zu den anderen spielen, mein kleiner Spatz», bat sie ihre Tochter. Dann lief sie weiter über die durchnässte Wiese in Richtung See, sah aus den Augenwinkeln Marusch, die ihr beunruhigt nachblickte, und blieb schließlich am Ufer stehen. Sie hörte Kinderlachen hinter sich, das Wiehern eines Pferdes. Was, wenn sie diesen Brief jetzt einfach ungeöffnet in den See warf? Würde sie damit ihr Schicksal beeinflussen können? Einmal mehr fragte sie sich, ob sie wirklich in ihre Heimatstadt Konstanz zurückkehren und von der Familie ihres Bruders aufgenommen werden wollte.
    Der Regen wurde wieder stärker, und sie fror am ganzen Leib. Endlich erbrach sie das Siegel. Sie erkannte die verschnörkelte Handschrift ihres Bruders sofort, konnte dennoch die wenigen Zeilen, die der Brief enthielt, nicht entziffern. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen, in ihrem Kopf begann es zu rauschen, als sie endlich begriff, was da geschrieben stand:
    Ziel allen Handelns ist ein ehrbares und ehrenvolles Leben, du aber, Marthe-Marie, hast nach allem, was du über deine Lage schreibst, dieses Ziel wissentlich verfehlt. Das wundert mich allerdings nicht, nachdem mir von einem Fremden zugetragen wurde, wer du wirklich bist.
    Ich will hierüber keine weiteren Worte verlieren. Du wirst verstehen, dass ich dich in meiner Familie nicht aufnehmen kann. Hinzu kommt, dass mein Vater, den du in dem Bittbrief an mich zu Unrecht auch den deinen nennst, unlängst gestorben ist – Gott habe ihn selig. Mach dir jedoch keine Hoffnung auf ein Erbe, denn du bist nicht mit ihm verwandt.
    Gott schütze dich und deine bedauernswerte Tochter, lebe wohl. Ferdinand Mangolt.
     
    «Nimm noch einen Schluck.» Marusch reichte Marthe-Marie den Becher mit dem heißen Aufguss aus Weißdorn und Eisenkraut. «Du musst wieder zu Kräften kommen.»
    Marthe-Marie schüttelte den Kopf. «Es geht schon wieder.»
    Tatsächlich hatte das Zittern aufgehört, und sie spürte eine angenehme Schläfrigkeit aufsteigen. Marusch hatte sie mit sanfter Gewalt ins Lager zurückgeholt, nachdem sie den ganzen Mittag über am Seeufer gehockt war, mit starrem Blick, bis auf die Haut durchnässt und steif vor Kälte. Jetzt lag sie im

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