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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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zahllosen Türme der freien Reichsstadt Ravensburg. Als sie näher kamen, fiel Marthe-Marie auf, wie bunt und kunstvoll sie bemalt waren – bis auf einen: Hügelaufwärts, über der Oberstadt, strahlte ein mächtiger Rundturm blendend weiß in der Nachmittagssonne.
    «Das ist der Mehlsack», erklärte Marusch. «Gleich dort um die Ecke habe ich bei den Beginen gelebt.»
    Die Stadt war von einem Graben und mächtigen Mauern mit hölzernem Wehrgang und Wehrtürmen umringt, und Marthe-Marie erfuhr, dass die Befestigung ebenso wie der weiße Turm dem Schutz gegen die feindlich gesinnten Landvögte diente, die oben auf dem Hügel ihre Burg hatten.
    Auf den Uferwiesen der Schussen, nicht weit vom Untertor, wies man ihnen ihre Lagerstätte zu – ein herrlicher Platz, hätten sich nicht ganz in der Nähe Leprosenhaus und Radacker befunden. Und wie zur Warnung an Fremde und Fahrendes Volk ragte auf einem Hügel jenseits des Flusses der Galgen in den Himmel.
    Marusch ließ es sich nicht nehmen, noch am selben Abend dieKlausnerinnen von St.   Michael aufzusuchen, die sich inzwischen dem Orden der Franziskanerinnen unterstellt hatten. Doch die Novizin, die ihr und Marthe-Marie öffnete, zuckte bedauernd die Schultern: Die Priorin sei unterwegs zum Liebfrauenpfarrer, und sie selbst dürfe sie nicht einlassen. Doch solle sie ihre Bitte im Seelhaus vorbringen, das Almosen an Pilger und arme Reisende verteile. So kehrten die Frauen dann doch noch mit einem Sack voll harter Brotstücke und getrockneter Äpfel zurück, die die Kinder heißhungrig verschlangen.
    «Und das hier», sie zauberte unter ihrer Rockschürze zwei hartgekochte Eier hervor und reichte sie Marthe-Marie, «ist für deine Kleine. Wenn sie damit nicht wieder zu Kräften kommt, darfst du mich schlagen.»
    «Danke.» Marthe-Marie lächelte. «Sie ist heute den ersten Abend ohne Fieber. Ich glaube, sie hat es überstanden.» Und ich auch, dachte sie im Stillen.
    Am nächsten Morgen weckte Diego sie noch vor Sonnenaufgang.
    «Ich reite los.» Zärtlich strich er ihr übers Haar.
    Sie hielt seine Hand fest. «Komm gesund zurück.»
    «Ich werde mir alle Mühe geben. Aber du musst mir auch etwas versprechen: Warte auf mich, bevor du irgendeine Entscheidung triffst. Ich habe Angst, dass du einfach verschwindest, während ich fort bin. Ich werde ja außerdem auch ungeahnte Schätze aus Freiburg mitbringen, und ein bisschen Reichtum würde dir auch nicht schaden, so dünn, wie du geworden bist.»
     
    Zwei Tage später, zu Palmsonntag, war Agnes wieder auf den Beinen, und Marthe-Marie ließ sich von ihrer Freundin zu einem Spaziergang durch die Stadt überreden. Die Häuser waren mit bunten Sträußen, Kränzen und Stangen geschmückt, über den lang gestreckten Marienplatz bewegte sich eine fröhliche Prozession inRichtung Liebfrauenkirche, um dort die Palmzweige weihen zu lassen. In ihrer Mitte zogen die Menschen einen hölzernen Esel auf Rädern, auf dem die Kinder reiten durften. Nach dem Kirchgang ließen sie sich mit der Menge die Marktgasse hinauftreiben, wo überall knusprige Seelen und Dünnbier verkauft wurden.
    Angesichts der frischen Backwaren, deren Duft ihnen verführerisch in die Nase stieg, begannen Lisbeth und Agnes immer ungehaltener zu quengeln. Marthe-Marie schmerzte es, dass sie den Kindern keine dieser Leckerbissen kaufen konnten, und sie schlug Marusch vor, ins Lager zurückzukehren.
    «Ach was.» Marusch schob sie in Richtung einer Brotlaube. «So herzlos können die Menschen an solch einem Festtag nicht sein, dass sie nicht zwei kleinen Kindern ein Stück Brot schenken würden.»
    Entschlossen stellte sie sich vor die Theke einer Laube und lächelte den Brotverkäufer an, einen bärtigen, untersetzten Mann mit riesigen Pranken.
    «Wärt Ihr so gütig und würdet an diesem herrlichen Frühlingstag unseren Kindern eine Seele schenken?»
    Statt einer Antwort kniff der Mann die Augen zusammen, trat hinter der Theke hervor und packte sie grob an den Schultern.
    «Verschwinde hier, samt deinen kleinen grindigen Flohbeuteln. Geht woanders betteln, elendes Lumpenpack, elendes!»
    Die beiden Mädchen begannen zu weinen. Doch bei Marusch war er an die Falsche geraten.
    «Ein Almosen magst du verweigern, aber beleidigen lasse ich mich nicht von dir.»
    Sie entwand sich seinen Armen und trat ihm so kräftig gegen das Schienbein, dass er aufheulte. Die Umstehenden lachten.
    «He, Weißbeck, prügelst du dich jetzt schon mit Bettelweibern?»
    Der Verkäufer hob

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