Die Tochter der Hexe
beide dorthin zurückjagen, wo sie hergekommen seien, nichts als Scherereien habe man mit Fremden, so also würde man seine Gutmütigkeit ausnutzen. «Aber reiten kannst du wie der Teufel, Mädchen», schloss er seine Schimpftirade.
Sie zogen weiter Richtung Norden, durch die milde, fruchtbare Ortenau. Jonas hielt sich mehr denn je in Marthe-Maries Nähe auf, in der Hoffnung, sie würde ihre Verschlossenheit ihm gegenüber aufgeben. Pünktlich am Namenstag der Frühjahrsbotin Gertrud hatten die Bauern mit ihrer Arbeit in Garten und Feld begonnen. Die Bienenkörbe wurden aufgestellt und die Kühe auf die Weide getrieben. Diego war an diesem Tag vorausgeritten nach Lahr. Er teilte sich mit dem Prinzipal die Aufgabe, günstige Wegstrecken zu suchen und herauszufinden, wo die Gaukler ihr nächstes Gastspiel halten konnten. Jonas war froh, den Spanier weit weg zu wissen.
«Seht mal.» Marusch deutete hinüber zu einer Scheune, auf deren Dachfirst ein Schwarm Krähen hockte. «Ich sage euch: Rabenvögel auf dem Dach sind kein gutes Vorzeichen.»
«Glaubst du an so was?» Marthe-Marie wirkte erstaunt. Jonas war längst aufgefallen, dass sie von magischen Zeichen wenig hielt, ganz im Gegensatz zu Magdalena.
«Selbstverständlich.» Marusch rollte die Augen. «Im Übrigen brauche ich nur Leos Gesicht anzusehen, es ist so finster wie das Gefieder dieser Vögel. Wenn wir nämlich wochenlang nur auf Dorffesten und Bauernhochzeiten auftreten, wird es eng für uns. Denkt zumindest Leo.»
Tatsächlich kam Diego am Abend mit unerfreulichen Nachrichten zurück. Er hatte in einer Herberge in Lahr eine Gruppe Jesuitenpatres getroffen.
«Das große Ostergeschäft in Offenburg können wir uns aus dem Kopf schlagen. Diese Brüder sind uns zuvorgekommen. Sie habeneine offizielle Einladung der Stadt, die Osterspiele abzuhalten, ich habe das Schreiben selbst gesehen.»
Sonntags Leute begannen zu schimpfen: «Diese verfluchten Kuttenkerle, ihre Lateinerdramen versteht sowieso kein Mensch.» – «Und wenn die Leute sie verstehen würden, würden sie wegrennen, vor so viel Erbaulichkeit.» – «Genau. Prunk und Protz und nichts dahinter.»
Der Prinzipal bat um Ruhe. «Hört auf herumzublöken wie die Schafe. Wir hätten es wissen müssen: Offenburg ist katholischer als der Papst, das ist bekannt. Für die Osterspiele würde der Magistrat die Lizenz niemals an Heidenmenschen wie uns vergeben. Wir müssen nach anderen Möglichkeiten suchen, tut mir Leid, Freunde. Wer hat Vorschläge?»
Marthe-Marie hob die Hand. «Bedeutet das, wir ziehen gar nicht nach Offenburg?» Jonas hörte die Unruhe in ihrer Stimme.
«Keine Sorge.» Diego lächelte sie an. «Im schlimmsten Fall würde ich dich persönlich hinbringen.»
Was bildet sich dieser Kerl ein, dachte Jonas. Er hält sich wohl für unwiderstehlich.
«Aber das wird nicht nötig sein, vorausgesetzt, du hast es nicht eilig. Bei den Jesuiten habe ich nämlich einen alten Freund getroffen, aus meinem früheren Leben.» Diegos Blick war immer noch auf Marthe-Marie geheftet, und Jonas spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. «Er will sich dafür einsetzen, dass wir in der Woche nach Ostern mit unseren Komödien auftreten dürfen, er kennt den Statthalter des Schultheißen. Da er mir noch einen Gefallen schuldet, brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen.»
«Sehr gut.» Sonntags Miene hellte sich wieder auf. «Vielleicht können wir ja bis dahin in Lahr spielen.»
«Wir können.» Triumphierend zog Diego eine Papierrolle hinter dem Rücken hervor. «Zwei Wochen lang, jeden zweiten Nachmittag. In drei Wochen geht es los.»
Die Gaukler brachen in Jubel aus. Nur Marthe-Marie blieb still. Sie sah enttäuscht aus.
Jonas hätte sich gern neben sie gesetzt, doch er wagte es nicht, die Distanz zwischen ihnen zu durchbrechen. Ein einziges Mal nur, bei ihrem waghalsigen Wettrennen, hatte er einen Anflug von Vertrautheit zwischen ihnen gespürt. Zu seinem Bedauern war es bei diesem einen Mal geblieben. Er dachte daran, dass er nun nicht vor Ende April nach Freiburg zurückkehren konnte und dass Textor sich Sorgen machen würde, wenn er so lange Zeit nichts von ihm hörte.
An Magdalena dachte er nur flüchtig.
Leonhard Sonntag streckte die Beine von sich und rülpste.
«Was für ein Festschmaus. So muss es im Schlaraffenland zugehen.»
Sie lagerten vor den Mauern der badischen Stadt Lahr, in der sie am Vortag ihre letzte Aufführung gehabt hatten. Die Bürger der Handels- und Gewerbestadt
Weitere Kostenlose Bücher