Die Tochter der Hexe
den Mund.
«Jetzt hört dich keiner mehr. Und deine Bewacher schlafen. Vielleicht träumen sie von dir. Von deinen spitzen Brüsten, von deinen weißen Schenkeln. Lass das Zappeln!»
Er schlug ihr ins Gesicht.
«Es wird mir eine Wonne sein, für ein Weib nicht bezahlen zu müssen. Denn du gehörst mir. Erst dein Leib, dann dein Leben.»
Er griff ihr unter dem dünnen Hemd so hart zwischen die Schenkel, dass sie sich vor Schmerz und Entsetzen aufbäumte.
«Wenn wir damit fertig sind», wieder griff er ihr zwischen die Beine, «wenn dir Hören und Sehen vergangen sind, dann wirst du mir auch verraten, wo du deine Wurzeln hast, in welchem Haus du den Schlauch voller Gold versteckt hältst.»
Der Nebel begann sich zu lichten, funkelnd brachen die Strahlender Morgensonne durch, und wie eine himmlische Erscheinung sah sie plötzlich hinter ihrem Angreifer Jonas stehen, breitbeinig, einen dicken Ast über dem Kopf erhoben. Dann schlug Jonas zu. Der andere sackte lautlos neben ihr zur Seite.
Jonas löste ihren Knebel und half ihr auf.
«Jonas! Vorsicht!»
Der Unbekannte hatte ihn am Fußknöchel gepackt und riss ihn zu Boden. Die beiden Männer begannen verbissen miteinander zu ringen, während Marthe-Marie sich hilflos nach dem Ast bückte und versuchte, den anderen damit zu treffen, ohne Jonas dabei zu verletzen. Doch es war unmöglich, zu eng hatten sich die beiden aneinander geklammert. Zwei-, dreimal gelang es dem Fremden, seine Faust Jonas ins Gesicht zu schlagen, dann gewann Jonas wieder die Oberhand. Dabei gerieten sie gefährlich nahe an den Rand eines steilen Abhangs, der zum Fluss führte. Jonas, der nun wieder unten lag, rammte mit einem Mal sein Knie in den Unterleib des Gegners. Der Fremde stieß einen gellenden Schmerzenslaut aus, rollte den Hang hinab und stürzte in die reißenden Fluten. Sie sahen noch, wie er unterging, wieder auftauchte wie ein Stück Treibholz und gleich darauf mit dem Kopf heftig gegen einen Felsen prallte. Dann verschwand sein Körper endgültig in den schäumenden Fluten und tauchte nicht wieder auf.
«Er ist weg», murmelte Marthe-Marie. «Du musst zu Ambrosius, deine Nase blutet. Vielleicht ist sie gebrochen.»
Sie ließ sich ins Gras sinken und begann haltlos zu schluchzen.
Jonas nahm sie in die Arme und streichelte ihr Gesicht. Verschwommen nahm sie wahr, wie hinter den Bäumen Diego und Marusch auftauchten, stehen blieben und wieder verschwanden.
«Es ist vorbei, Marthe-Marie. Jetzt musst du nie wieder Angst haben.»
Er wartete, bis sie sich beruhigt hatte, dann fragte er: «Hast du ihn gekannt?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich habe den Mann noch nie gesehen. Ich weiß nicht einmal, warum er mich verfolgt hat, warum er mich so abgrundtief hasst.»
«Du blutest auch.» Vorsichtig wischte er ihr das Blut aus dem Mundwinkel. Dabei sah er sie zärtlich an.
«Ich hab dich auch angelogen, Jonas. Ich weiß gar nicht, ob mein Vater in Offenburg lebt. Ich kenne ihn nicht.»
«Aber du hast doch erzählt, dass dein Vater dich Reiten gelehrt hat, dass er Soldat war.»
«Das ist mein Ziehvater. Es ist noch nicht lange her, da habe ich erfahren, dass meine Eltern nicht meine leiblichen Eltern sind.»
«Und wer ist nun dein Vater?»
«Er war Schlossergeselle, vielleicht ist er jetzt Meister. Vor vielen Jahren ist er von Freiburg weggezogen nach Offenburg.»
«Und deine Mutter?»
«Sie lebte in Freiburg. Catharina Stadellmenin hieß sie. Sie haben sie als Hexe verbrannt, 1599 war das.»
Er wandte den Kopf ab. «Also doch», hörte sie ihn murmeln.
Nachdem er nichts weiter sagte, stand sie auf. «Jetzt bist du entsetzt, nicht wahr?»
«Nein, du denkst das Falsche, es ist nur – ich hatte so etwas geahnt – ich meine –» Er erhob sich ebenfalls. «Was soll’s, ich will dich nicht weiter anlügen, jetzt wo mein Auftrag erfüllt ist.»
«Dein Auftrag?» Marthe-Marie spürte, wie Eiseskälte ihr in die Glieder fuhr.
«Ich sollte dich sicher nach Offenburg bringen und herausfinden, wer dich verfolgt. Und jetzt sind wir am Ziel angekommen, und dein Verfolger ist tot.»
«Wer hat dich beauftragt? Was – was wird da mit mir gespielt?»
«Es ist Dr. Textor. Ich bin sein Hauslehrer, und Magdalena ist seine Tochter.»
Sie stieß ihn von sich und rannte los, rannte quer über die Wiesen,mitten durch den Bach, dass es spritzte, weiter den Hügel hinauf, nur weg vom Lager, weg von Jonas. Alles hätte sie erwartet, nur das nicht.
«Himmel, Marthe-Marie, warte doch.
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