Die Tochter der Hexe
die Kette vorlegen. Aber nicht mit mir, nicht mit Johann Krötz.»
Am nächsten Morgen erschien der Holzwart in Begleitung eines Stadtknechts. Die Compagnie samt Wahrsagerin und Wundarzt sei gehalten, binnen einer Stunde das Lager zu räumen und weiterzuziehen. Der Rat habe die Konzession zurückgezogen, da ihr Schauspiel zu viel Unflat und ärgerliches Zeug enthalte. Nicht zuletztsei die Beschwerde eines Zunftmeisters eingegangen, der von einem der Gaukler vor aller Augen zum Narren gemacht worden sei. Den Kleinkrämern allerdings stehe es frei, zu bleiben.
«Um Himmels willen, was machst du da?» Erschrocken blieb Marthe-Marie stehen.
Flammen züngelten am Wagenrad empor, während Diego wie beim Veitstanz auf dem brennenden Strohhaufen herumtrampelte.
«Hilf mir lieber, dort hinten steht ein Eimer mit Wasser.»
Es zischte, als Marthe-Marie das Wasser in den Brandherd schüttete, dann nahm eine dichte Rauchwolke ihr fast die Luft zum Atmen.
«Wolltest du euren Wagen anzünden?»
«Es hat geklappt.» Gebannt betrachtete Diego den verkohlten Strohhaufen und das rußgeschwärzte Wagenrad, als stehe er vor einem Kunstwerk. Sonntag, den der Brandgeruch aus dem Mittagsschlaf gerissen hatte, sprang vom Kutschbock.
«Was ist hier los?»
«Es hat tatsächlich geklappt.» Diego strahlte. «Schaut euch das an, mit diesem Wunderding hier kann ich aus einem Versteck heraus zielgenau ein Feuer entfachen.»
Er hielt ihnen einen handtellergroßen, gewölbten Glaskörper unter die Nase.
«Du warst das?» Der Prinzipal schnappte nach Luft. «Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?»
«Im Gegenteil. Das wird ein ganz besonderer Effekt für unseren neuen Auftritt. Stellt euch vor: Wenn Marthe-Marie als Adam Ries ihre Rechenkünste zum Besten gegeben hat, werde ich sie unter Feuer und Rauch in eine Frau verwandeln.»
«Nichts wirst du. Du mit deinen elenden Fürzen im Hirn. Das ganze Lager hättest du in Brand stecken können.»
«Ich gebe zu, ich muss die Vorgehensweise noch verfeinern, aber dann –»
«Schluss, aus, ich will nichts mehr davon hören. Der Einzige, der hier mit Feuer hantieren darf, ist Quirin.»
«Vielleicht», mischte Marthe-Marie sich ein, «fragt ihr mich mal, was ich davon halte. Ich will nämlich nicht in Flammen aufgehen.»
«Keine Sorge, dir wird höchstens ein wenig warm an den Füßen.»
«Schluss habe ich gesagt!», brüllte der Prinzipal und stapfte aufgebracht in Richtung Flussufer davon.
«Was ist das überhaupt für ein Ding?» Marthe-Marie strich mit den Fingerspitzen über die kühle, glatte Oberfläche.
«Ein Brennglas. Ich habe es mal bei einem holländischen Linsenschleifer erstanden. Es bündelt die Sonnenstrahlen auf einen Punkt und erzeugt eine solche Hitze, dass es Stroh oder Werg in Brand setzt.»
«Und was machst du, wenn es regnet?»
Diego sah Marthe-Marie so verblüfft an, dass sie lachen musste.
«Ach Diego, du hast jeden Tag einen neuen Einfall für unseren Auftritt. So wird das nie etwas.»
Sie versuchte, Strenge in ihren Blick zu legen. In Wirklichkeit hätte ihr nichts Besseres geschehen können als der Vorschlag, an den Darbietungen der Truppe teilzunehmen. Sonntag hatte zu ihrem gemeinsamen Auftritt achselzuckend sein Einverständnis gegeben, obwohl Frauenspersonen seiner Meinung nach nicht auf die Bühne gehörten. Marusch war begeistert, und im Lager brachte man ihr seither unverhohlen Respekt entgegen. Und sie selbst hatte endlich eine Aufgabe, deren Vorbereitung sie von ihren düsteren Grübeleien abhielt. Vor allem von ihren Gedanken an Jonas. Warum war sie so hart gewesen gegen den Mann, der ihr zweimaldas Leben gerettet hatte? Nur weil er sie belogen hatte? Verbarg sie nicht selbst ihr wahres Leben wie eine zweite Haut? Immer wieder hörte sie ihn sagen: Ich hab dich lieb, sah dabei das Flehen in seinem jungenhaften Gesicht. War das die Wahrheit?
Diego sah sie an. «Nicht träumen!»
Es klang liebevoll und tadelnd zugleich. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie viel er über ihre Vergangenheit wusste.
Er verstaute das Brennglas in einem Beutel. «Gehen wir ein Stück spazieren und besprechen noch einmal den Ablauf.»
Ihr Lager hatten sie einige Wegstunden hinter Gengenbach in einem Seitental aufgeschlagen, wohl wieder in den Habsburger Vorlanden, so genau wusste das keiner von ihnen. Morgen wollten sie weiterziehen ins fürstenbergische Haslach. Die Berge waren hier schon weitaus mächtiger. Auf dem höchsten schob sich stolz
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