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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Reihenfolge wiederholst?»
    «Ich denke schon. Ich habe die Zahlen ja vor Augen. Das ist, als ob ich sie nur ablesen müsste. Ach ja, da fällt mir ein: Als Kinder haben wir gespielt, wer bei einem Haufen Kastanien die Anzahl am besten schätzt. Irgendwann durfte ich nicht mehr mitspielen, weil ich fast immer die genaue Zahl wusste.»
    «Phantastisch! Das nehmen wir mit dazu. Wenn dann also die Zuschauer überzeugt sind, dass der große Rechenmeister Adam Ries von den Toten auferstanden ist, bringen wir die Verwandlung. Der Feuerzauber dient der Ablenkung, du musst blitzschnell den Talar ausziehen, darunter bist du eine verführerische Frau, in Rock und engem Leibchen, am besten mit unverschämt tiefem Ausschnitt   …»
    «Diego!»
    «…   das Barett verschwindet, stattdessen lange schwarze, mit Perlen frisierte Haare, rote Lippen. Kurz: Aus dem alten Adam Ries wird eine wunderschöne Eva.»
    Marthe-Marie schüttelte den Kopf. «Und wer entfernt mir, bitte schön, blitzschnell Bart und weiße Schminke?»
    «Da wird mir noch etwas einfallen, keine Sorge. Fährst du also ab morgen bei mir mit?»
    «Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.»
    «Wie viel ergibt vierundzwanzig mal dreiundvierzig?»
    «Bitte nicht, ab morgen dann.» Sie streckte sich im Gras aus und tastete nach seiner Hand. «Sei einen Moment ruhig und schließ die Augen. Hörst du den Specht klopfen?»
    Sie wollte ihre Hand wieder zurückziehen, doch Diego hielt sie fest umschlossen. Das bedeutete sicher nichts; die Fahrenden gingen ja, wie Marthe-Maria längst bemerkt hatte, viel vertrauter, offenherziger miteinander um, als sie es gewohnt war. Nach einigerZeit schlug ihr Herz wieder langsamer. Die Sonne wärmte ihr Gesicht, über ihnen rauschten die Blätter, aus der Ferne drangen Axtschläge und der Duft nach Holzfeuer herüber. Irgendwo kläffte ein Hund.
    Als sie, nach langer Zeit, wie es schien, die Augen aufschlug, sah sie über sich Diegos Gesicht. Sein Lächeln war warm, ohne jeden Anflug von Spott. Er richtete sich auf.
    «Ist es nicht schön hier? Wir liegen in der Abendsonne, und unten im Tal wird es bereits dunkel. Wenn ich nicht so einen Bärenhunger hätte, könnte ich die ganze Nacht hier liegen und mit dir die Jakobsstraße betrachten.»
    Er half ihr auf, und ohne Eile machten sie sich an den Abstieg. Im Lager brannten schon die Feuerstellen, Mettel verteilte ihre Suppe, der erste Weinschlauch machte die Runde. Sie setzten sich neben Marusch und Sonntag.
    «Sieh an», grunzte der Prinzipal mit vollem Mund. «Probiert ihr eure Nummer jetzt schon im Dunkeln?»
    Diego nickte, und Marthe-Marie fragte: «Schläft Agnes schon?»
    Marusch deutete zum Wagen ihrer Kinder. «Sie haben den ganzen Tag an der Kinzig getobt und waren danach wie erschlagen. Bis auf Antonia sind schon alle im Wagen. Für dich habe ich etwas», fuhr sie leiser fort. «Komm näher ans Licht.»
    Im Feuerschein reichte sie Marthe-Marie ein Papier. «Das hat Leo in unserem Wagen gefunden.»
    Marthe-Marie wusste sofort, wessen Handschrift das war. Hastig las sie die wenigen Worte:
    Verehrter Leonhard
,
liebe Maruschka
.
Verzeiht mir
,
dass ich euch so Hals über Kopf verlassen habe
,
aber nach allem
,
was geschehen ist
,
konnte ich nicht länger bleiben
.
Die Papierrolle ist für Marthe-Marie
.
Habt Dank für alles
,
ich werde euch nicht vergessen
.
Jonas Marx
.
    «Und das hier lag daneben.» Sie gab Marthe-Marie die zusammengebundene Rolle und ging zurück zu den anderen.
    Mit zitternden Fingern löste Marthe-Marie den Knoten und strich das Papier glatt. Das flackernde Licht des Feuers ließ die Buchstaben tanzen.
    Liebe Marthe-Marie. Du denkst, ich habe dich betrogen und verraten, und doch habe ich nie etwas anderes gewollt als dich zu schützen. Mein Fehler mag gewesen sein, dass ich nicht von Anfang an ehrlich zu dir war. Vielleicht kannst du mir das eines Tages verzeihen. Dass deine Herkunft und das Haus, zu dem ich gehöre, auf so grausame Weise miteinander verbunden sind, liegt nicht in unserer Hand. Könnte ich das Schicksal bestimmen, wäre ich jetzt bei dir, als einfacher Gaukler, der Bälle durch die Luft wirbelt und abends mit dir am Feuer sitzt. Aber vielleicht hast du inzwischen deinen Vater ausfindig gemacht und damit eine Heimat gefunden. Auch wenn wir uns nie wieder sehen: Du bist für immer in meinem Herzen. Jonas.

14
    «Ich habe es gewusst. Eine verfluchte Zollstelle nach der anderen.»
    Diego erhob sich vom Kutschbock und spähte am

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