Die Tochter der Hexe
Pantaleon und Quirin, die wohl ihre Härte beweisen wollten, und jeweils drei Männer, die Wache hielten. Lambert hatte an den Innenwänden des Wohnwagens auf halber Höhe Bretter an Scharnieren befestigt, die, von Ledergurten gehalten, herausgeklappt und von den Kindern als Betten genutzt werden konnten. Auf dem Boden lagen die Erwachsenen dicht an dicht, und die Luft war bald zum Schneiden, da die Läden geschlossen bleiben mussten. Dafür brauchte keiner zu frieren.
«Ist doch eigentlich ganz behaglich», flüsterte Marusch, die eingezwängt zwischen Sonntag und Marthe-Marie lag. Diego hatte zusammen mit zwei der Musikanten die erste Wache übernommen. «Ich bin gespannt, wie lange es Quirin und Pantaleon draußen unter ihren Planen aushalten.»
Marthe-Marie lauschte dem Sturm, der um den Wagen heulte, dem Ächzen und Rauschen der Bäume. Hin und wieder hörte sie die Pferde und Maultiere unruhig schnauben, dann wieder schlugen Zweige herab. Marusch und ihr Gefährte schnarchten längst um die Wette, doch sie fand, wie seit Tagen schon, keinen Schlaf. Sie dachte an Apollonia. Nur kurz hatten sich ihre Wege gekreuzt. Marthe-Maria wusste so gut wie nichts über die junge Frau und doch – ihr Anblick hatte etwas in ihr berührt, das mehr war als nur Mitleid.
Irgendwann öffnete sich die schmale Tür und ließ einen Schwall eisiger Luft und nasser Flocken herein. Ein Tuscheln, Rucken und Zerren ging durch die nachtschwarze Enge des Wagens, dann war wieder alles ruhig. Bis Marthe-Marie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
«Schläfst du?» Diegos Flüstern klang tief und weich.
Wortlos schüttelte sie seine Hand ab und zog sich die Decke bis über den Kopf.
Am nächsten Morgen hatte der Sturm nachgelassen. Alles war weiß, an einigen Stellen stand der Schnee in hüfthohen Wehen.
«Das wird ein beschissenes Stück Arbeit, die Wagen wieder auf den Weg zu bringen, » schimpfte Diego. Doch kaum hatten sie die Geschirre für die Zugtiere bereitgemacht, setzte der Sturm wieder ein, diesmal ungleich heftiger.
«Es hat keinen Sinn», schrie Sonntag durch das Tosen. «Zurück in den Karren mit euch.»
So hockten sie in der Dunkelheit des Wagens, zum Warten verdammt, die Böen rüttelten an den Fensterläden. Plötzlich krachte mit lautem Knall ein Ast auf das Dach. Sie hörten das Kamel draußen schreien, Agnes und Lisbeth begannen zu weinen, und Ambrosius’ dürrer Körper zitterte wie Espenlaub.
«Herr im Himmel hilf, dass uns kein Baum zerschmettert», flüsterte Lamberts Frau. Sie begann zu beten, die Kinder fielen mit ein. Sonntag kroch hinaus und kam mit Pantaleon und Quirin zurück. In ihren Haaren und Bärten hingen Eisklumpen.
«Armdicke Äste hat es runtergehauen, aber so weit ich sehen konnte, sind keine Bäume entwurzelt. Das Kamel hat auch einen Prügel abbekommen. Du kannst später nach Schirokko sehen», wandte er sich an Pantaleon. «da draußen ist es jetzt lebensgefährlich.» Er schüttelte sich. «Die reinste Winterhölle, und das Ende Oktober.»
Erst gegen Abend flaute der Sturm ab, und sie mussten eineweitere Nacht mitten im Wald verbringen. Dann setzte Tauwetter ein, und der Schnee ging in Regen über.
Die Schäden waren geringer als befürchtet: Der Ast hatte die obere Wand des Wagendachs eingerissen, was sich mit Werg und Teer jedoch leicht ausbessern ließ, und neben der Tür war eine Latte herausgeschlagen, die ersetzt werden musste. Pantaleons Zeltplane war zerfetzt, die von Quirin hatte der Sturm mitgerissen. Schirokko hatte Glück gehabt: Die Fleischwunde an seiner Hinterhand war nicht tief. Die anderen Wagen und Karren wiesen kleinere Schäden an Holz und Planen auf.
Gleich nach Sonnenaufgang machten sie sich wieder auf den Weg. Die Krämer und Hausierer, die Kesselflicker und Scherenschleifer mit ihren klapprigen Handwagen und zweirädrigen Karren hatten sich zum Glück für Freudenstadt als Winterquartier entschieden. Ohne sie würde der Tross schneller vorankommen. Obwohl die Fahrstraße in denkbar schlechtem Zustand war, schlammig und mit Wurzelwerk durchsetzt, hofften sie, bis zum Abend Horb am Neckar zu erreichen.
Doch mit dem plötzlichen Einbruch der kalten Jahreszeit schien die Glückssträhne der Spielleute ein jähes Ende gefunden zu haben. Sie waren kaum eine Stunde unterwegs, als sich die Straße zu einem Hohlweg verengte. Rechts und links schoben sich steile, mit Felsen und Gestrüpp besetzte Hänge bis dicht an den Wegesrand. Die beiden mächtigen Fuhrwerke von
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