Die Tochter der Hexe
Freudenstadt erschienen und hatte ihnen das Angebot unterbreitet, zur Kirchweih im Oktober zu gastieren. Offenbar hatte sich ihr Erfolg in diesem südwestlichen Zipfel des Herzogtums Württemberg herumgesprochen, und so war Sonntag selbstbewusst genug, Bedingungen zu stellen: Er bat sich aus, nicht, wie vom Dornstetter Magistrat geboten, im Gasthaus «Krone» Quartier zu nehmen, sondern auf der Gemeindewiese vor der Stadt, zudem möge auch der Wahrsagerin Salomedas Gastrecht nicht verweigert werden, da zu ihrem Kundenkreis erlauchte Persönlichkeiten gehörten und ihr Wirken ausschließlich dem Guten diene.
Drei Tage später – sie hatten die Bühne abgebaut, die Wagen und Karren standen bepackt bereit – brachte ihnen der Bote das Plazet der Dornstetter Ratsherren. Die Spielleute brachen in Jubel aus.
«Diesen weiteren Erfolg», rief Sonntag, nachdem sich seine Leute beruhigt hatten, «möchte ich für zweierlei zum Anlass nehmen. Zum einen ist unser Säckel inzwischen so gut gefüllt, dass wir unsere Ausrüstung wieder in Schuss bringen sollten. Wer also Mängel an seinen Kostümen oder Requisiten festgestellt hat, kommt nachher mit seinen Wünschen zu mir. Außerdem werden wir noch einen Wagen samt Maultier dazukaufen, einen großen geschlossenen Wohnwagen aus bestem Buchenholz. Keiner von euch soll in diesem Winter auf offenen Karren oder unter Planen schlafen müssen. Das zweite: Zum Abschied gibt es nachher im ‹Goldenen Bärlein› ein großes Fest mit freiem Essen und Trinken für alle. Wartet, ich bin noch nicht fertig.» Er hatte Mühe, die neuerlichen Freudenpfiffe und Rufe zu übertönen. «Sauft euch nicht die Hucke voll; wir müssen morgen in aller Frühe die Stadt verlassen und unser Lager draußen aufschlagen. Wer nicht rechtzeitig auf den Beinen ist, zahlt in die Strafkasse.»
David Dreher zeigte ganz offen sein Bedauern, als er am Abend riesige Platten mit Spanferkel, kaltem Braten und sauren Kaldaunen in Rotweintunke auffahren ließ und sich dann zum Prinzipal an den Tisch setzte.
«Lieber Sonntag, ich sag’s Euch offen ins Gesicht; Ihr wart mir die liebsten Gäste seit langem.»
«Vor allem die lukrativsten», lachte Sonntag.
«Nein, nein! Doch nicht des Geldes wegen. Ihr wisst ja selbst, dass Ihr fahrenden Leute nicht gerade den besten Ruf habt. Abermir wart Ihr eine angenehmere Gesellschaft als manch adlige Reisegruppe. Und Eure Mettel würde ich am liebsten nicht mehr herausgeben. Langer Rede kurzer Sinn: Ich wünsche Euch von Herzen Glück und weiteren Erfolg.» Er schüttelte dem Prinzipal die Hand. «Die paar Fässchen Bier heute Abend gehen auf meine Rechnung, als Abschiedsgeschenk.»
Dann winkte er Mettel heran. «Heute sollen die anderen ausschenken. Trink mit uns.»
Er warf ihr einen glutvollen Blick zu.
«Ach David, Ihr wisst doch, dass ich nicht untätig herumsitzen kann. Na gut, auf einen Schluck hock ich mich dazu.»
Sie schenkte sich und Dreher ein und hob ihren Becher.
«Auf die Gastfreundschaft vom Bärenwirt.»
Alle hoben ihre Becher und tranken Dreher zu. Nur Diego starrte auf die Tischplatte, ohne etwas anzurühren.
«Diego tut mir Leid», flüsterte Marusch Marthe-Marie zu. «Du solltest aufhören, ihn wie Luft zu behandeln.»
«Er ist Luft für mich. Ich wäre froh, ich würde ihn nie wieder sehen. Und falls er dich angesetzt hat zu vermitteln, dann richte ihm aus, dass es vergeblich ist.»
«Sei nicht albern, für Botendienste lass ich mich nicht gebrauchen. Aber du gibst ihm nicht einmal die Möglichkeit, sich zu entschuldigen. Schau, er ist halt ein Mannsbild, aufbrausend, selbstgefällig und eifersüchtig. So sind die Männer, wenn sie verliebt sind.»
«Nicht Jonas», entfuhr es Marthe-Marie. Allein dass sie seinen Namen ausgesprochen hatte, versetzte ihr einen Stich ins Herz. Wie hatte sie sich vorgenommen, nicht mehr an jenen Abend im Buchenhain zu denken; aber die Momente der Liebe und des Schreckens holten sie bei jeder Gelegenheit ein. Ihre Trauer um Mechtild hatte sie mit Marusch teilen können, und das Mitleiden der Freundin hatte ihr gut getan. Sie begann sich einzureden,dass der Tod der alten Wirtin mit der Welt draußen zu tun hatte, mit einer feindlich gesinnten Welt, vor der sie sich in den Schutz der Gauklertruppe zurückgezogen hatte. Doch das Leid um Jonas konnte ihr niemand abnehmen. Ein zweites Mal, diesmal wohl endgültig, hatte sie ihn zurückgestoßen und verletzt, und das in einem Augenblick, wo ihre Liebe zu ihm erwacht war. Noch
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