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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nicht verhindern, dass ihre Frage spitz klang.
    «Nur in wirklich wichtigen Dingen. Den Rest überlasse ich Leo. Hauptsache, er zweifelt niemals daran, dass er die Zügel in der Hand hält.»
    In letzter Zeit ertappte sich Marthe-Marie immer häufiger dabei, wie sie ihrer Freundin das Leben mit Leonhard Sonntag und den fünf Kindern neidete. Missmutig schlug sie mit dem Hammerso fest auf die Nüsse, dass die Kerne zu Mus gequetscht wurden. Marusch warf ihr einen fragenden Blick zu, sagte jedoch nichts.
    Bis zu ihrem letzten Tag in Dornstetten schienen den Prinzipal aber doch Zweifel wegen der vorzeitigen Abreise zu plagen, denn gegenüber Marusch verhielt er sich überaus gereizt. Dann jedoch wurden sie Zeugen eines Ereignisses, das sie veranlasste, so schnell wie möglich weiterzuziehen.
    Sie gaben ihre letzte Vorstellung. Quirin war mit seiner Darbietung noch nicht bis ans Ende gelangt, als die Zuschauer unruhig wurden. Erst vereinzelt, dann in dichtem Pulk verließen die Menschen den Marktplatz, auf dem die Bühne errichtet war, und strömten hinüber zur Kirche. Auf ein Zeichen des Prinzipals hin löschte Quirin schließlich seine Fackeln und beendete den Auftritt.
    «Möchte zu gern wissen, wer uns da die Aufmerksamkeit stiehlt», brummte Sonntag. Gemeinsam zogen sie hinüber zum Kirchplatz, wo es kaum noch ein Durchkommen gab. Sie drängten sich seitwärts an der Menge vorbei, bis sie das Schauspiel vor Augen hatten, das die Menschen offenbar weit mehr fesselte als der Auftritt der Gaukler: Am Pranger stand mit dem Rücken zu ihnen eine Frau, die Hände an die Spitze des Schandpfahls gekettet. Ein Raunen ging durch die Menge, als sich der Scharfrichter mit einer kräftigen Rute in der Faust der Delinquentin näherte. Mit einer einzigen Bewegung riss er ihren Kittel entzwei. Schutzlos und nackt erwartete ihr Rücken die schmerzhaften Schläge. «Eins!» – «Zwei!» – «Drei!», grölte die Menge bei jedem Staupenschlag, beim fünften begann die Frau zu schreien, dann platzte die Haut auf, und Blut quoll über den bleichen Rücken.
    Marthe-Marie hatte sich längst abgewandt. «Lass uns gehen. Ich will das nicht sehen.»
    Doch Marusch stand wie versteinert. «Das gibt es nicht. Das ist Apollonia!»
    Marthe-Marie zwang ihren Blick zum Ort des grausamen Geschehens. Jetzt sah man das Gesicht der Frau: Es war tatsächlich die junge Bettlerin aus Hausach, die sich mit Maruschs Geldkatze davongemacht hatte. Marthe-Marie hielt sich die Ohren zu, um die furchtbaren Schreie nicht hören zu müssen. «Elf!»- «Zwölf!» – dann trat Stille ein.
    «Was hat sie getan?», fragte Marusch die Umstehenden.
    «Leinentücher aus einem Bürgerhaus hat sie geklaut, das Luder. Und einen silbernen Kerzenständer. Es ist wohl nicht das erste Mal.»
    Inzwischen hatte der Scharfrichter Apollonia vom Pranger losgebunden. Zusammengekrümmt lag sie auf dem Pflaster. Jemand führte ein Pferd heran, das in leichtem Geschirr stand. Der Henker band ihre Handgelenke an die Zugstränge.
    «Jetzt wird sie aus der Stadt geschleift», rief einer der Gaffer. «Los, hinterher.»
    «Das überlebt sie nicht», murmelte Marthe-Marie und kämpfte gegen das Würgen in ihrem Hals an. Sie konnte es nicht erklären, aber ihr war, als hätte es eine von ihnen getroffen.
    «Sie ist noch jung, und sie ist zäh», entgegnete Marusch, doch auch ihr Gesicht war totenblass.
    Als sie zum Marktplatz zurückkehrten, fehlte keiner aus der Truppe. Niemand hatte das Spektakel bis zum Ende miterleben wollen.
    «Das war kein schöner Anblick», sagte Sonntag. «Mir wäre es am liebsten, wir würden gleich aufbrechen.» Die anderen nickten stumm. «Und womöglich behält unsere Nonne noch recht mit ihrer bösen Ahnung, was das Wetter betrifft.»
    So war es auch. Bereits einen Tag später – sie durchquerten einige Meilen hinter Dornstetten ein dichtes Waldstück – zog von Westen her eine dunkelgraue Wolkenbank auf und schob sich vor die Sonne. Am Nachmittag fielen die ersten schweren Flockenvom Himmel, die ein heftiger Wind, der binnen Minuten an Stärke zunahm, ihnen in Kragen und Gesicht wehte. Schlagartig wurde es dunkel.
    «Mistwetter!», brüllte der Prinzipal vom Kutschbock herunter. «Wir müssen einen Lagerplatz finden, bevor wir gar nichts mehr sehen.»
    Sie erreichten eine Schneise, die die Waldarbeiter geschlagen hatten, und lagerten kreuz und quer zwischen gefällten Bäumen und Gestrüpp.
    Zum ersten Mal schliefen sie alle in ihrem neuen Wagen, bis auf

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