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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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als ob die Speichen des Wagenrads brechen würden, und schwere, schnelle Schritte. Aus der Ferne die Stimme des Anführers: «Er hat sich losgerissen, schlagt ihn tot!», gleich darauf ein dumpfer Schlag, ein Ächzen, als ob ein gefällter Baum zu Boden ginge. Dann war es still.
    «Maximus!» Mettels Stimme drang erstickt durchs Dunkel. Marthe-Marie schlang den Arm um sie und begann zu beten, flehte Gott an, sie alle am Leben zu lassen, auch wenn ihnen sonst alles genommen würde.
    Irgendwann hob sie den Kopf und lauschte. Draußen war nichts mehr zu hören. Sie versuchte durch den Spalt der Fensterläden hinauszusehen, doch außer einem Stück nackter Felswand war nichts zu erkennen. Wie aus einem tiefen Traum kamen auch die anderen zu sich. «Sie sind weg», flüsterte Marusch. Jetzt hörten sie Diegos Stimme: «Hilf mir – ja, so ist es gut – noch ein Stückchen.» Kurz darauf öffnete sich die Tür des Wagens und Diegos blutverschmiertes Gesicht erschien in der blendenden Helligkeit des hereinfallenden Lichts.
    «Geh du zuerst hinaus», sagte Marusch zu Marthe-Marie. «Ichbleibe bei Mettel. Und ihr Kinder bleibt auch, bis wir euch holen.»
    Marthe-Maries Beine schwankten, als Diego ihr aus dem Wagen half. Sie starrte auf seine aufgeplatzte Lippe und unterdrückte ein Schluchzen. Dann ließ sie sich in seine Arme fallen.
    Rundum sah es aus wie nach einer Schlacht. Überall verstreut lagen Kleider, Kostüme und Requisiten im Matsch, dazwischen Tonscherben von zerschlagenem Geschirr und gesplittertes Holz. Das Schild mit dem stolzen Schriftzug «Leonhard Sonntag und Compagnie» war in zwei Teile gespalten. Das Furchtbarste: Ihr zu Füßen lag ausgestreckt im Dreck der große, starke Maximus und rührte sich nicht.
    «Ist er tot?»
    «Ich weiß nicht.» Diego strich ihr zärtlich über das Gesicht. «Ich kümmere mich um ihn, binde du die anderen los. Hier hast du mein Schnitzmesser.»
    Sonntag rieb seine schmerzende Schulter, nachdem sie ihn befreit hatte. «Ist von den Frauen und Kindern jemand verletzt?»
    «Nein, dem Himmel sei Dank. Nur um Mettel müssen wir uns kümmern – wegen Maximus.»
    Jetzt schossen ihr doch die Tränen in die Augen. Dann fiel ihr Blick auf Ambrosius, der leblos und kopfunter an den Speichen des Wagenrads hing.
    «Keine Angst, der ist nicht tot. Nur rechtzeitig in Ohnmacht gefallen.» Sonntag klopfte dem Wundarzt unsanft auf die Wangen. «He, Medicus, aufwachen, es ist vorbei. Wir brauchen deine Hilfe.»
    Während Marthe-Marie die anderen Männer befreite, knieten Sonntag und Diego bei Maximus, dem aus einer Wunde am Hinterkopf das Blut rann.
    «Sapperment, Ambrosius!», brüllte Diego los. »Hol jetzt sofort deine Arzttasche, sonst mach ich dir Beine!»
    Unter lautem Wehklagen lief der bucklige Wundarzt zu seinem umgestürzten Karren, in den er einer Wühlmaus gleich den Kopf steckte, um seine Instrumententasche zu suchen. Plötzlich begann er zu kreischen wie ein Waschweib: «Meine Amputiersäge! Sie haben meine Amputiersäge gestohlen!»
    In diesem Moment hob Maximus den Kopf, schlug die Augen auf und fragte mit klarer Stimme: «Mettel?»
    Marthe-Marie stürzte in den Wohnwagen. «Mettel, schnell. Er kommt zu sich. Er ist nicht tot!»
    Die alte Köchin lachte und weinte zugleich, als sie sich neben Maximus hockte. «Mein armer Kleiner. Was haben sie mit dir gemacht.»
    «Sein Puls schlägt wieder kräftiger.» Ambrosius legte eine Kompresse auf die Wunde und begann einen Verband anzulegen. Seine Spinnenfinger zitterten noch immer. «Er braucht jetzt Wärme.»
    Mit einem Mal begannen alle durcheinander zu laufen, jeder auf der Suche nach seinen Habseligkeiten oder um die angerichteten Schäden an seinem Wagen zu untersuchen.
    «So geht das nicht.» Der Prinzipal kletterte auf sein Fuhrwerk. «Alle hierher zu mir.»
    Er musterte seine Männer, die sich jetzt um den vorderen Wagen versammelt hatten.
    «Wie es scheint, sind wir mit dem Schrecken davongekommen. Sogar Maximus. Jedem anderen hätte so ein Schlag den Schädel zerschmettert, aber Maximus ist eben Maximus. Jetzt hört zu: Marthe-Marie und Anna gehen mit den größeren Kindern Feuerholz sammeln. Bleibt in der Umgebung des Lagers und haltet Ausschau nach dem Kamel. Es hat sich losgerissen und muss ganz in der Nähe sein. Vielleicht haben sich auch noch andere Tiere befreien können. Mettel und Salome, ihr treibt Wasser auf und etwas zu essen, um für Maximus eine heiße Suppe zu bereiten. Vielleicht haben die Dreckskerle ja

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