Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
Vom Netzwerk:
allerdings nur unwesentlich, denn schließlich erwartete sie mich schon im Gefängnis. Die scharfkantige Tonscherbe unter meinem Hemd empfand ich als beruhigend. Nun würde ich endlich Gelegenheit haben, sie ihr selbst zu geben, denn wir würden bald Schwestern in Gefangenschaft sein. So ging das Verhör weiter, und ich nannte nur Namen von Menschen, die bereits hinter Gittern saßen. Mit jeder Antwort uferte meine Phantasie mehr aus, und je wahnwitziger meine Märchen ausfielen, desto mehr Gefallen schienen die Richter daran zu finden. Ich hatte mit einem schwarzen Hund getanzt, meinen Geist losgeschickt, um andere zu kneifen und zu quälen, und mit dem Geist meiner Mutter gesprochen, der mir als Katze erschienen war. Nachdem die Richter mit mir fertig waren, stellten sie Tom dieselben Fragen, woraufhin er ihnen im Großen und Ganzen meine Aussagen bestätigte. Unsere Mutter war eine Hexe und hatte uns dem Teufel zum Fraß vorgeworfen. Nur wenn wir bereuten und eine Gefängnisstrafe verbüßten, konnten wir gerettet werden.
    Nachdem unsere Aussagen niedergeschrieben waren, wurden Zeugen vorgeführt, die weitere Beweise gegen uns liefern sollten. Zuerst war Phoebe Chandler an der Reihe, die den Richtern mitteilte, ich hätte sie verflucht und sie krank gemacht. Sie war sehr verschüchtert und sprach so leise, dass man sie ständig auffordern musste, sich zu wiederholen, damit die Richter sie verstehen konnten. Allerdings waren es nicht die Richer, die ihr Angst machten, sondern die jungen Frauen aus Salem, die laut tuschelnd hinter ihr standen. Nach ihr kam Mercy Williams, die die Sittsame und Bescheidene mimte, allerdings fett geworden war wie ein Rebhuhn. Sie gab an, ich hätte sie unter Einsatz der Puppe mit Nadeln gestochen, und zog die fragliche Waffe - die Nadel, die sie mir gestohlen hatte - aus ihrer Schürze hervor. Sehr zu ihrem Bedauern streckte Richter Hawthorne die Hand aus und beschlagnahmte das Beweisstück. Als sie sich zum Gehen anschickte, sah sie mir kurz in die Augen. Da wusste ich mit einer Sicherheit, die mich bis ins Grab begleiten würde, dass sie mit jemandes Bastard schwanger war. Die gerundeten Wangen, die pummeligen Hände - eine davon noch mit der halbmondförmigen Narbe von meinem Biss - und die Tatsache, dass ihre sonst so teigige Haut plötzlich frisch und rosig war, erzählten die Geschichte von einem roten Unterrock, der an einem geheimen Ort wohl einmal zu oft gelüpft worden war. Noch ehe das Jahr zu Ende war, am kältesten Tag im Dezember, sprang Mercy dann auf der Fahrt über den Merrimack-River von der Haverhill-Fähre - vielleicht war sie ja auch gestoßen worden. Ihr roter Rock, der zwischen den Eisschollen trieb, alarmierte Zeugen, sodass man ihre Leiche bergen konnte, bevor sie im gefrierenden Wasser versank. Ansonsten wäre sie vermutlich erst wieder an die Oberfläche gekommen, wenn sich das Wasser im Frühjahr erwärmte.
    Der letzte Zeuge war Allen Toothaker, der angab, bei seiner Prügelei mit Richard vor unserer Scheune im vergangenen März sei nicht nur Mutters Geist, sondern auch meiner in ihn hineingefahren, sodass er sich nicht mehr habe bewegen können. Weiterhin werde er häufig von meiner Spukerscheinung gequält, was ihm große Pein bereite. Als er entlassen wurde und an mir vorbeiging, hob er den Daumen ans Gesicht und ließ ihn langsam vom Nasenrücken bis zu den Nasenlöchern gleiten. Er hatte sich lange in Geduld geübt, um mir meine abfällige Geste nach seiner Schlägerei mit Richard heimzahlen zu können. Dass er von der Glut, mit der er eigentlich unsere Scheune hatte niederbrennen wollen, noch immer eine leuchtend rote Narbe an der Wange trug, bedeutete eine kleine Genugtuung. Sie hatte die Form eines »L« - wie Lügner.
    Als man uns hinausbrachte, wurde gerade eine junge Frau vor die Richter geführt, die ich aus dem Versammlungshaus in Andover kannte. Sie war die Enkelin von Reverend Dane und die Erste aus dieser Familie, die man in Salem vor Gericht stellen würde. Ihre Augen waren starr geradeaus gerichtet wie bei einer Schlafwandlerin, und sie zog ein gelbes Rinnsal hinter sich her. Offenbar hatte sie in ihrer Angst das Wasser nicht mehr halten können. Wir wurden in einen anderen Karren verfrachtet und die siebeneinhalb Kilometer nach Salem-Stadt östlich der Hauptstraße gefahren. Aus dem South River stieg ein scharfer brackiger Geruch auf. Wenn wir an einer Straße oder einem Haus vorbeikamen, die von Bedeutung waren, rief Sheriff George Corwin

Weitere Kostenlose Bücher