Die Tochter der Ketzerin
meine Tante - im Gegensatz zu vielen anderen - ihr Geständnis nie widerrief, selbst nachdem die Zellentür hinter ihr ins Schloss gefallen war.
Die dritte Sitzungsperiode des Schwurgerichts begann am Dienstag, dem 2. August, und sollte vier Tage dauern. Die Urteilsverkündung gegen Mutter nahm fast zwei Tage in Anspruch. Mary Lacey wurde aus ihrer Gefängniszelle geholt, um gegen sie auszusagen. Weitere Zeugen waren Phoebe Chandler und Allen Toothaker. Obwohl Richard und Andrew unter Eid Mutters Schuld eingeräumt hatten, beantragte Cotton Mather, diese Geständnisse zu streichen, da aus anderer Quelle weitere Beweise für Geisterspuk vorlägen. Damit war die Mildtätigkeit des Mannes, der meine Mutter, die einzige Frau in den Kolonien, die sich ihren Anklägern entgegenstellte, als »verkommene Schlampe« bezeichnet hatte, jedoch schon zu Ende. Mutter wurde verurteilt und sollte am 19. August gehängt werden, und zwar zusammen mit Reverend George Burrow, dem ehemaligen Dorfgeistlichen von Salem, John Proctor, der dem Gouverneur schriftlich von der Folterung meines Bruders berichtet hatte, George Jacobs, einem alten, schon etwas zerstreuten Mann, ebenfalls Einwohner von Salem, und John Willard. Der junge Mann hatte eines der verhexten Mädchen gesund gepflegt und eines Morgens beim Aufwachen feststellen müssen, dass die Hand, die heilt, meist als Erste gebissen wird.
Als ich am 10. August erwachte, war ich ganz ruhig. Der Tag war zwar so stickig und heiß wie immer, doch da das Wetter am Vorabend überraschend abgekühlt hatte, war ich vor dem Zubettgehen die Treppe zum Speicher hinaufgestiegen, um eine alte Steppdecke aus Großmutters Truhe zu holen. Unter der Decke fand ich die Kreuzstickerei, die Margaret so liebevoll für mich angefertigt hatte, und, darin eingewickelt, die Tonscherbe. Ich steckte beides unter mein Hemd. Als ich, Hannah im Arm, unter der Steppdecke lag, spürte ich, wie sich die scharfkantige Tonscherbe, einem anklagenden Finger gleich, in meine Rippen bohrte. Nach dem Aufstehen kleidete ich mich sorgfältig an, entwirrte die Knoten in meinem Haar mit dem Finger, wenn der Kamm stecken blieb, und schob es ordentlich unter meine Haube. Ich schlüpfte in meine kaum getragenen Strümpfe und bearbeitete meine Schuhe mit einem Lappen, sodass unter dem Schmutz das Leder wieder zum Vorschein kam. Dann bereitete ich aus dem Wenigen, was noch vorhanden war, das Frühstück für uns vier zu. Anschließend stellte ich mich an die Tür und blickte nach Norden, um auf meinen Besucher zu warten. Denn genauso wie meine Mutter das unangekündigte Eintreffen eines Nachbarn hatte vorhersagen können, wusste ich, dass er heute kommen würde.
Als der Wachtmeister kurz darauf tatsächlich mit den Haftbefehlen für mich und Tom erschien, war er, wie ich glaube, ziemlich erschüttert, mich kleine Wächterin gefasst und abmarschbereit auf der Türschwelle vorzufinden. Er hielt meinem Vater die Haftbefehle vors Gesicht. Doch dieser fixierte ihn so lange mit finsteren Blicken, bis der säuerliche Gestank nach Angst in Wellen von dem Mann aufstieg. Als er die Puppe in Hannahs Arm bemerkte, entriss er sie ihr mit den Worten: »Ich muss jede Puppe, die ich finde, dem Gericht vorlegen.« Während wir aus dem Haus geführt und in den Wagen gesetzt wurden, stieß Hannah unablässig schrille Schreie aus. Wir waren zwar gefesselt worden, aber nur locker, sodass es nicht lange dauerte, uns der Stricke zu entledigen, damit wir uns an den Händen halten konnten.
Als der Wachtmeister auf den Bock stieg und nach den Zügeln griff, packte Vater das Pferd so fest am Zaumzeug, dass es den Kopf nicht mehr bewegen konnte. »Sie kennen mich, John Ballard«, sagte er.
»Ja, ich kenne Sie«, erwiderte der Wachtmeister leise.
»Und ich weiß auch, wer Sie sind. Wehe, wenn meine Kinder nicht in dem Zustand in Salem eintreffen, in dem sie aufgebrochen sind.« Mit diesen Worten ließ Vater das Zaumzeug los, trat zurück und packte Hannah am Kleid, um sie von den Wagenrädern wegzuziehen.
»Ich werde den Kindern nichts tun«, antwortete John Ballard und ruckte an den Zügeln. »Doch sobald ich sie abgegeben habe, bin ich nicht mehr für sie zuständig.«
So fuhren wir die Boston Way Road hinauf. Tom und ich saßen dicht beieinander, während Hannah schreiend hinter uns herlief und rief, wir sollten nicht fortgehen. Sie hatte Angst davor, ohne uns zurückzubleiben, allein mit Vater, der so gewaltig und so schweigsam war, wie die in die
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