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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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in die Hand drückte. Es war ein harter, glatter Flusskiesel, und ich schloss die Faust fest darum. Und dann gab ich ihnen den Namen an, den sie hören wollten. Den Namen einer Frau, die bereits im Gefängnis saß und auf den Tod wartete.
    Ich trat einen Schritt vom Felssims. »Meine Mutter«, sagte ich.
    Alle nickten zufrieden. Dann beugte sich einer der untergeordneten Richter zu John Hathorne vor und zischte: »Wie hat sie es getan?«, woraufhin sich der oberste Magistrat an mich wandte und die Frage wiederholte, als wäre ich taub.
    »Ich musste meine Hand auf ein Buch legen.« Die Richter seufzten so genüsslich und erwartungsvoll auf, als hätte ich einen Laib frisch gebackenes Brot aus meiner Schürze hervorgezaubert. Als ich die Gesichter der Männer vor mir musterte, las ich Neugier, Feindseligkeit, Aufmerksamkeit und Furcht in ihren Augen. Nur eines konnte ich bei keinem der Richter erkennen, nämlich etwas, das man guten Gewissens als Mitgefühl, Anteilnahme oder auch nur Unvoreingenommenheit hätte bezeichnen können. Da hörte ich hinter mir ein Geräusch wie von einem Tier. Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass eines der verhexten Mädchen miaute wie eine Katze. Sie trug wie ich ein braunes Kleid aus selbst gesponnener Wolle und eine schlichte Haube und hatte auch rostrotes Haar, sodass wir Schwestern hätten sein können. Doch in ihren Augen malte sich unverhohlene Schadenfreude, sodass mir plötzlich flau im Magen wurde. Ein dunkler Vorhang schien sich seitlich über mein Gesichtsfeld zu ziehen, und ich musste mich an Toms Arm festhalten.
    »Sprich weiter«, forderte Richter Hathorne mich da auf. Seine Stimme klang hohl, und die Geräusche, die über seine Lippen kamen, schienen keine Bedeutung zu haben. Meine Knie gaben nach, und ich spürte, wie Tom den Arm um mich legte und mich hochzog, damit ich aufrecht stehen blieb. Der oberste Richter bedeutete dem Schreiber, innezuhalten, faltete die Hände und fragte mich: »Weißt du, wo du bist?« Als ich nickte, fügte er hinzu: »Und weißt du, mit wem du sprichst?« Wieder nickte ich.
    »Dann weißt du auch, dass wir die Wahrheit aus dir herausholen werden. Jede Frage, die man dir stellt, musst du vollständig und bereitwillig beantworten. Sonst wird es schlimme Folgen für dich haben. Mach dir keine Hoffnungen, dass wir wegen deines zarten Alters Gnade walten lassen werden. Doch wenn du uns nicht das ganze Ausmaß deiner Beteiligung an diesem Hexenwerk enthüllst, gefährdest du deine unsterbliche Seele. Der Körper kann geopfert werden, aber wenn die Seele erst verloren ist, dann für immer.«
    Seine Worte drangen durch die Watteschicht, und das Schweigen, das darauf folgte, erinnerte an den Zeitraum zwischen dem Moment, in dem man das Huhn auf den Schlachtblock legt, und dem des Ausholens mit der Axt. Und wenn die Axt, gebremst durch Fleisch und Knochen, endlich fällt, gibt es ein dumpfes Geräusch, als schlösse sich an einer Tür endgültig der Riegel - oder als schöbe jemand einen Berg Papiere von einem Richtertisch auf den anderen. Richter Hathorne gab dem Schreiber ein Zeichen, sich bereitzuhalten, und fragte mich noch einmal: »Wie bist du zur Hexe gemacht worden?«
    »Meine Mutter ließ mich die Hand auf ein Buch legen.« Ich wusste, dass die Richter an das Buch des Teufels dachten, doch ich sah vor meinem geistigen Auge nur Mutters rotes Buch vor mir, das an den Wurzeln eines einsamen Baums auf Gibbets Plain vergraben war. Ich hatte geschworen, das Buch vor Männern wie diesen zu verstecken und es vor ihnen zu schützen.
    »Wie hast du die Hand darauf gelegt?«
    »Ich habe es mit den Fingern berührt. Das Buch war rot. Rot wie Blut. Und die Seiten waren weiß. Weiß wie …« Meine Stimme erstarb. Ich sah, dass der Schreiber die Ohren spitzte. Doch als ich ihn anblickte, senkte er die Augen und griff nach einem frischen Blatt Pergament, als hätten meine Worte die letzte Seite verseucht.
    »Hast du je den schwarzen Mann gesehen?«, erkundigte sich einer der Richter.
    »Nein«, erwiderte ich, obwohl ich am liebsten »Keinen außer Ihnen« geantwortet hätte wie meine Mutter.
    »Wo hast du das Buch berührt? Wer war bei dir?«, fragte ein dritter Richter.
    Ich sagte ihnen die halbe Wahrheit, indem ich entgegnete: »Auf Andrew Fosters Weide, bei Foster’s Pond. In der Nähe von Gibbet’s Plain.« Nach einer Pause fügte ich hinzu: »Meine Tante Mary war dabei. Und meine Cousine Margaret.«
    Ich hatte Margaret mit hineingezogen,

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